Lokale Kultur

Literatur lebendig gemacht

Burkhard Engel mit „Kurt Tucholsky-Liedern und Satiren“ in der Kirchheimer Stadtbücherei

Kirchheim. Für Burkhard Engel ist ein Auftritt in Kirchheim ein Heimspiel. Er hat sich den Ruf erworben, Literatur auf die angenehmste Weise zu vermitteln, mit seinem seriösen

Auftreten, seiner stimmlichen und gestischen Variationsbreite und seinem gekonnten Umgang mit der Gitarre. Somit passt er genau zum Anliegen der Stadtbücherei mit ihrem Sommerprogramm „Gereimtes und Ungereimtes“.

Gut in Erinnerung ist noch Engels Heine-Programm vor zwei Jahren. Diesmal hat sich Engel Tucholsky vorgenommen, den scharfzüngigen Journalisten und Satiriker, der so viel Witz versprühte und doch solch ein unglücklicher Mensch war. Zwei Ehen gingen in die Brüche. Tucholsky lebte ab seinem 34. Lebensjahr hauptsächlich im Ausland, in Paris als Korrespondent und von 1930 an in Schweden. 1933 wurde er ausgebürgert, seine Schriften wurden verbrannt. Tucholsky starb 1935 im 45. Lebensjahr. Bisher nahm man an, er sei freiwillig aus dem Leben geschieden. Das wird heute in Zweifel gezogen.

Erich Kästner hat über Tucholsky gesagt: Er war „ein kleiner dicker Berliner, der mit der Schreibmaschine eine Katastrophe aufhalten wollte“. Tucholsky hat ein kurzes Leben lang gegen Reaktion und Faschismus angeschrieben. Daneben gibt es noch den Poeten Tucholsky mit seinen innigen Liedern und pointierten Alltagsgeschichten.

Engel beziehungsweise sein Zuarbeiter Noémi Háklár „portionierte“ die Tucholskytexte nicht nach Lebensabschnitten wie damals beim Heine-Programm, sondern nach Themen. Der erste Teil bot ein Spiegelbild von volkspsychologischer und privater Befindlichkeit. Der Deutsche ist ein Vereinsmeier („Die Opposition“; „Das Mitglied“.). Ordnung ist nicht das halbe, sondern das ganze Leben: „Wenn der Deutsche fällt, steht er nicht auf, sondern sieht sich um, wer schadensersatzpflichtig ist“ („Ordnung“). Er macht auch aus dem banalen Laternenanzünden „ein echtes Sinnbild deutscher Kraft und deutschen Fleißes, deutscher Tatkraft und deutscher Treue“. Absurden Humor beweist Tucholsky in der populär gewordenen Pseudogrübelei über das „Loch“: „Ein Loch ist da, wo nichts ist“.

Geschlechtspsychologisch wird nachgewiesen, dass Männer genauso eitel sind wie Frauen. Die Frau eines Dichters klagt darüber, dass ihr Mann bloß in Büchern eine Idealgestalt ist („Die arme Frau“). Das „Lehrgedicht“ gibt den Ratschlag, volltönende Begriffe wie „Logos“ und „Eros“ im Munde zu führen, um zur literarischen Kaste zu gehören.

Nach der Pause gab es dann ein Bündel vorwiegend politischer Texte. Die Republik wird „von hinten umgebracht“(„Couplet für die Bierabteilung“). Die Republik steckt fest, niemand zieht den Karren aus dem Dreck („Der Wagen“), auch nicht die Sozialdemokraten („Rechenaufgaben. .  .“): „Die sozialdemokratische Partei hat in 8 Jahren 0 Erfolge. In wie vielen Jahren merkt sie, dass ihre Taktik verfehlt ist?“ Dieses satirische Eindreschen auf alles und jedes, auch auf die Sozialdemokratie, hat Tucholsky bei Historikern die Kritik eingetragen, er habe zum Scheitern der Weimarer Republik beigetragen.

Es folgten Texte, die die Arbeitslosigkeit und die Armut der Bevölkerung beklagen. In einem letzten kompakten Block kam dann der Pazifist Tucholsky zu Wort mit seinem Kampf gegen Militarismus und Kriegstreiberei. „Der General im Salon“ schickt aus sicherer Entfernung Tausende in den Tod: „Mit geschwungenem Telefonhörer setzt der unerschrockene Führer seinen Truppen nach“. Vorurteile zwischen den Völkern gehören abgebaut, damit die Menschen friedlich leben können („Nationales“; „Parc Monceau“). Zum Abschluss sprach der „arme Pojaz“ alias Kurt Tucholsky: „Ich war ein Clown, doch war ich nie ein Narr“. Als Zugabe gab´s noch ein Gedicht mit, so Engel, zeitlosem Humor, „Das Ideal“, mit dem Fazit: „Dass einer alles hat, das ist selten“.

Burkhard Engel vermittelt das Gefühl, dass er weiß, wovon er spricht und singt. Schließlich ist er ein promovierter Philologe. Das Publikum fühlte sich, nach einer gewissen Anlaufzeit, in der variationsreichen Mischung der Texte und der Darbietungsform bestens unterhalten. Es freut sich auf das von der Leiterin Ingrid Gaus komponierte Sommerprogramm im nächsten August. Die Stadtbücherei war dieses Jahr drei Mal ausverkauft. Schließlich ist bei ihr, mitten zwischen den Büchern, der richtige Platz, um Literatur lebendig werden zu lasen.