Junge Zeitung

Minderjährige an die Wahlurnen

Das neue kommunale Wahlrecht für 16- und 17-Jährige wird kontrovers diskutiert

Bei den Kommunalwahlen dürfen in Baden-Württemberg jetzt auch Jugendliche ab 16 wählen. Der Teckbote hat darüber mit Ralph Rieck, Geschäftsführer des Kreisjugendrings Esslingen (KJR), gesprochen.

Kirchheim. Jugendgemeinderäte, Jugendverbände in Parteien, „Schule als Staat“ – es ist unübersehbar, dass die „große“ Politik schon längst die Initiative ergriffen hat und jungen Menschen die Ideen von Diskussion und Beteiligung durch spezielle Projekte näherbringen will. Die kürzlich in Kraft getretene Neuerung des Wahlrechts öffnet dem Thema „Jugendliche und Politik“ jedoch auf ungewohnt offensive Weise neue Türen. Am 11. April haben die Regierungsfraktionen von Grünen und SPD die neue Klausel im Wahlgesetz durchgewunken, wonach in Baden-Württemberg Jugendliche ab 16 Jahren künftig bei Kommunalwahlen ein Stimmrecht haben werden, sich also an den Wahlen der Gemeinderäte und Bürgermeister und sogar bei Bürgerentscheiden beteiligen können.

In Baden-Württemberg hat sich der Landesjugendring seit 2006 für eine entsprechende Änderung des Wahlrechts eingesetzt. Für Ralph Rieck, Geschäftsführer des Kreisjugendrings Esslingen, liegt es auf der Hand, dass bereits 16-Jährige wählen sollten: „Der demografische Wandel ist schon in vollem Gange. Es gibt immer mehr Ältere, deshalb verlagert sich der Schwerpunkt in der Politik immer mehr auf deren Interessen. Da ist es angebracht, mit dem Wahlrecht für Jugendliche ein entsprechendes Gegengewicht zu schaffen.“

Kritiker, etwa aus den Reihen der Opposition in Baden-Württemberg, verweisen darauf, dass Minderjährige oft leicht zu beeinflussen sind, was von extremen Parteien ausgenutzt werden könne. Außerdem könnten Parteien zu zweifelhaften Wahlgeschenken an Jugendliche verleitet werden.

Ralph Rieck hingegen betont die vielfältigen Chancen des Wahlrechts ab 16: Jugendlichen könne nicht früh genug bewusst gemacht werden, dass sie in ein demokratisches System hineinwachsen, in dem jeder Bürger Rechte hat, das aber andererseits auch erfordert, verschiedene Meinungen kritisch zu hinterfragen. „Jugendliche sind in Deutschland bereits ab 14 religions- und strafmündig. Weshalb sollte ihnen dann nicht etwa im selben Alter das Recht eingeräumt werden, durch die Wahl ihres Gemeinderates und ihres Bürgermeisters wenigstens die Kommunalpolitik mitzugestalten?“

Die Erfahrungen in den Bundesländern, in denen die jungen Einwohner bereits wählen dürfen, lassen jedoch den Schluss zu, dass die Jugendlichen dem Thema „Politik“ eher verhalten gegenüberstehen. In Brandenburg etwa liegt die Wahlbeteiligung der 16- und 17-Jährigen je nach Kommune zwischen 1,5 und 3,5 Prozent. Ralph Rieck vom KJR sieht sich dennoch bestätigt: „Das zeigt ja, dass niemand Angst vor extremistischen Umstürzen durch Minderjährige haben muss. Außerdem machen die Zahlen deutlich, dass die Parteien gefordert sind, durch ihre Inhalte und Kampagnen jugendliche Wähler für ihre politischen Ziele zu gewinnen.“

Erforderlich sei der weitere Ausbau politischer Bildung in den Schulen, so könnten Jugendliche im Gemeinschaftskunde-Unterricht an das Thema Kommunalpolitik herangeführt werden. Außerdem setzt sich der KJR dafür ein, dass die Jugendhäuser für das Thema werben. Eine große Chance des kommunalen Wahl­rechts ab 16 sieht Ralph Rieck in politischen Kampagnen, die sich im Wahlkampf speziell an Jugendliche richten. „Wir haben die Hoffnung, dass das kommunale Wahlrecht ab 16 dazu führt, dass Politiker aller Parteien ein Einfühlungsvermögen für die Lebenswelt junger Bürger entwickeln“, sagt er. Es sei längst überfällig, dass die Politik sich Gedanken darüber mache, welche Interessen Jugendliche haben und was man ihnen als Partei bieten kann.

„Gleichzeitig sollte das neue Wahlrecht die Jugendlichen natürlich auch dazu bewegen, sich mehr Gedanken über politische Themen zu machen und sich bestenfalls selbst politisch zu engagieren“, sagt Ralph Rieck. „Die kommunale Ebene halte ich dafür für einen guten Raum. Denn was in den Städten und Gemeinden beschlossen wird, betrifft die Jugendlichen unmittelbar.“

Am 25. Mai 2014 werden bei den landesweiten Wahlen der Gemeinderäte erstmals 212 000 Jugendliche im Alter von 16 und 17 Jahren stimmberechtigt sein. Diese Wahlen stellen auch einen Probelauf für den ebenfalls bereits diskutierten Vorschlag dar, das Wahlalter auch bei den Landtagswahlen auf 16 abzusenken. „Der Erfolg des neuen kommunalen Wahlrechts wird danach nicht an der Wahlbeteiligung Jugendlicher gemessen“, betont der KJR-Geschäftsführer. Stattdessen werde das Augenmerk darauf liegen, was im Vorfeld der Wahlen vonseiten der Parteien, Verbände und Bildungseinrichtungen für die politische Bildung der neuen Wähler getan werde. Könnte sich das Wahlrecht hier als effektiv erweisen, sei es auch denkbar, 16- und 17-Jährigen bei den Landtagswahlen künftig ebenfalls eine Stimme zu geben. „Allerdings kann man die Erfahrungen mit minderjährigen Wählern nicht unmittelbar auf die Landesebene übertragen“, sagt Ralph Rieck. Die abstrakteren landespolitischen Themen seien weiter vom Lebensumfeld Jugendlicher entfernt. „Grundsätzlich halte ich es aber auch auf Landesebene für richtig, Jugendliche mitentscheiden zu lassen.“