Kirchheim

Mit der Menora Flagge zeigen

Partnerschaft Seit diesem Jahr ist die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Kirchheim (EFG) offizieller Partner einer Kirchengemeinde in Jerusalem. Im Gemeindezentrum steht neben dem Kreuz die Menora. Von Peter Dietrich

Menora und Kreuz vereint: Für Susanne Plessing aus der Gemeindeleitung der EFG und für Pastor Günter Öhrlich war spätestens nach
Menora und Kreuz vereint: Für Susanne Plessing aus der Gemeindeleitung der EFG und für Pastor Günter Öhrlich war spätestens nach dem Attentat in Halle klar, ein Bekenntnis gegen Antisemitismus setzen zu müssen. Seit Jahren pflegen sie eine enge Verbindung zu Menschen jüdischen Glaubens. Foto Carsten Riedl

Kirchheim ist gewiss nicht der Nabel der Welt. Jerusalem, zumindest in religiöser Hinsicht, schon. Wie aber kommt eine Kirchheimer Kirchengemeinde dazu, offizieller Partner der „King of Kings“-Kirchengemeinde in Jerusalem zu werden? Das ist eine lange Geschichte, die Ende der 1990er-Jahre begann.

Damals kamen messianische Juden - also Juden, die an Jesus als den Messias glauben - aus Russland nach Kirchheim. Sie trafen sich im alten Gemeindehaus der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Kirchheim (EFG) in der Jesinger Straße, um dort am Freitagabend den Schabbat zu begrüßen, den jüdischen Feiertag. Sie gründeten einen eigenen Verein und blieben auch ab 2004 im neuen Steingau-Zentrum Gäste. Durch Wegzug und andere Gründe löste sich der Verein vor einigen Jahren auf. „Das war isoliert vom Gemeindeleben, das hatte nichts mit uns zu tun“, sagt Günter Öhrlich, seit 15 Jahren Pastor der EFG. „Viele wussten das gar nicht“, sagt Susanne Plessing, die zur Gemeindeleitung gehört.

Doch es hinterließ Spuren. 2013 kam der Gedanke auf, mit der Gemeinde eine Israelreise zu organisieren. Sie wurde mit Vorträgen und Seminaren intensiv vorbereitet, mit Karl-Heinz Geppert vom Arbeitskreis Israel (aki) des Liebenzeller Gemeinschaftsverbandes wurde ein erfahrener Reiseleiter gewonnen. Die Vorbereitung und die Reise wurden eine Reise zu den eigenen Wurzeln. „Die Bibel wurde von Juden geschrieben“, sagt Günter Öhrlich. „Man kann das Neue Testament nur auf dem Hintergrund des Alten Testaments verstehen.“ Was das Lesen und das Verständnis der Bibel betrifft, vergleicht der Pastor die Israelreise mit dem Schritt „vom Schwarz-Weiß- zum Farbfernsehen“. „Jesus war ja Jude“, sagt Ute Macho, Mitglied im Israel-Arbeitskreis der Kirchengemeinde. Oft wurden im echten oder falschen Christentum diese jüdischen Wurzeln vergessen, ein absurdes Foto aus der Nazizeit bringt es auf den Punkt: ein Kruzifix mit dem Gekreuzigten, daneben ein Schild „Juden unerwünscht“.

Zwölf Tage lang fuhren die 24 Kirchheimer im Jahr 2015 durch Israel, sie besuchten Jerusalem, die Wüste Negev, den See Genezareth und Bethlehem. Sie begegneten auch palästinensischen Christen. „Die Palästinenser waren für mich immer die Bösen, jetzt sitzt da einer, das hat mein Weltbild erschüttert“, beschreibt Susanne Plessing die Begegnung. Zur Reise gehörte ein Besuch der Gemeinde in Jerusalem. Sie hat unter einem Dach einen internationalen Zweig mit englischsprachigem Gottesdienst und einen Zweig mit messianischen Juden, die in Hebräisch feiern.

Zu einer Israelkonferenz kamen Mitglieder der Jerusalemer Gemeinde nach Bad Liebenzell. Von dort kam die Anfrage nach Kirchheim: Wenn die ohnehin schon da sind, wollt ihr sie nicht einladen in euren Gottesdienst? So kam es. Im März 2018 machten dann zwölf Leute aus der Kirchheimer Gemeindeleitung einen einwöchigen Gegenbesuch in Jerusalem, im April 2019 wurde das zweiseitige Partnerschaftsdokument unterzeichnet.

Wohlwollend, trotzdem kritisch

Inzwischen hat sich die EFG auf vielfältige Weise mit den jüdischen Wurzeln beschäftigt, es gab eine jüdische Stadtführung durch Kirchheim und Informationen zu den jüdischen Festen: Was wird da eigentlich gefeiert? Einmal im Monat wird der Schabbat begrüßt, in einem Seminar wurde das Spiel des Schofarhorns probiert.

So wuchs der Wunsch, die innere Verbundenheit sichtbar zu machen. Eine kurze Zeit hing im Gottesdienstsaal eine Israelflagge. Doch das war nicht das Richtige: „Sie ist ein politisches Symbol“, sagt Günter Öhrlich. Die Flagge war auch spannend, weil zur Gemeinde eine große Gruppe Iraner gehört. Am 13. Oktober, zum Beginn des Laubhüttenfestes, wurde deshalb die Alternative aufgestellt, die Menora, der Siebenarmige Leuchter. „Er steht für das Licht Gottes, Sieben ist die biblische Vollzahl“, sagt der Pastor. Die Aufstellung wurde schon vor dem Attentat in Halle geplant. Durch dieses wurde sie unerwartet zum aktuellen Bekenntnis gegen Antisemitismus.

Die Liebe zu den jüdischen Wurzeln bedeutet aber keinen völlig unkritischen Blick auf die aktuelle israelische Politik. „Es ist sehr komplex“, sagt der Pastor und verweist auf die unterschiedlichen Positionen auch innerhalb der jüdischen Gesellschaft. Diese werden die Gemeindemitglieder erneut aus erster Hand kennenlernen: Für 2021 ist eine erneute Israelreise in Planung.

Wider die Ersatztheologie

Weil sie Jesus als den Messias abgelehnt hätten, habe Gott die Juden verstoßen und sich nun den Christen zugewandt - so lehrten es manche Theologen in der Kirchengeschichte. Gegen diese „Ersatztheologie“ wehrt sich Pastor Günter Öhrlich vehement und kann sich dabei auf den Apostel Paulus berufen: In seinem Brief an die Christen in Rom hat Paulus diesen alten Gedanken ebenso entschieden verworfen und betont, Gott habe mit seinem erwählten Volk noch etwas vor. Eine wichtige und nicht gerade rühmliche Rolle beim christlichen Antisemitismus, sagt Pastor Günter Öhrlich, spiele leider der Reformator Martin Luther: „Ich schätze Luther sehr, aber hier hat er eine ganz schlechte Saat gesät.“ Luthers Versagen in diesem Punkt wird in den evangelischen Kirchen heute offen diskutiert und bedauert. Das war auch deutlich beim Reformationsjubiläum zu spüren. Der Kommentar eines Theologen: „Große Männer fehlen groß.“ pd