Kirchheim

Neue Bleibe für alte Dinge gesucht

Kreislaufwirtschaft Der Kirchheimer Verein Schenkscheune muss im Frühjahr ausziehen, denn die Alleenstraße 38 muss einem Neubau weichen. Von Iris Häfner

Familie Bauer sucht zwar nicht für sich ein neues Dach über dem Kopf, dafür aber für ihr Herzensprojekt, die Schenkscheune. An d
Familie Bauer sucht zwar nicht für sich ein neues Dach über dem Kopf, dafür aber für ihr Herzensprojekt, die Schenkscheune. An diesem Tauschort werden Produkte sämtlicher Art angenommen und können umsonst wieder mitgenommen werden. So wird Müll vermieden. Fotos: Jean-Luc Jacques
Jede Menge gebrauchte Kleidung und Spielzeug beherbergt die Schenkscheune. Foto: Jean-Luc Jacques
Jede Menge gebrauchte Kleidung und Spielzeug beherbergt die Schenkscheune. Foto: Jean-Luc Jacques

Es ist ein Abschied, der schon von Anfang an feststand und sich erfreulich in die Länge zog. Ursprünglich sollte die Schenkscheune nur für ein halbes Jahr in der Kirchheimer Alleenstraße 38 untergebracht sein, tatsächlich wurde es deutlich länger. Doch jetzt neigt sich die Schonfrist dem Ende zu: Der Umsonst-Laden sucht ab April ein neues Zuhause. „Es wäre schön, wenn wir mal etwas langfristig mieten könnten“, sagt Tim Bauer, der sich mit Jan Wagner den Vorsitz des Vereins Schenkscheune teilt.

Der Name ist einzigartig in Deutschland, nicht jedoch die Idee, die dahintersteckt. Als die Schenkscheune erstmals ihre Tore in der Schlierbacher Straße öffnete, war es der 90. Umsonst-Laden bundesweit. Die Gründung ist einem Zufall geschuldet. Ein altes Bauernhaus in direkter Nachbarschaft eines Discounters stand im Juni 2016 vor dem Abriss und musste entrümpelt werden - eine Aktion, die zupackende Freunde brauchte. „Da waren teilweise noch originalverpackte Sachen darunter. Die konnten wir nicht in den Container werfen. Wir haben sie einfach rausgestellt und mit einem Schild zum Mitnehmen versehen“, erzählt Katharina Bauer. Die Nachbarn fanden die Idee prima und haben vorsichtig angefragt, ob sie nicht auch etwas dazustellen dürfen. Sie durften. „In der Sackgasse konnten wir uns ausbreiten und alles vors Haus stellen. Wir haben sogar einen Teppich ausgelegt, wenn wir die Scheune offen hatten“, sagt Katharina Bauer. Die Laufkundschaft kam in Scharen. Statt im Müll zu landen, fanden die Sachen glückliche Neubesitzer. So hat sich die Idee entwickelt, woanders weiterzumachen.

Gezielt suchen und anbieten - das geht in der Schenkscheune auch. Foto: Jean-Luc Jacques
Gezielt suchen und anbieten - das geht in der Schenkscheune auch. Foto: Jean-Luc Jacques

„Wir hatten immer gute Standorte“, freut sich Katharina Bauer, die mit ihrem Mann Tim von Anfang an mit dabei ist. Im Oktober 2016 kamen die Bagger, und die Schenkscheune zog in die Plochinger Straße, ganz in die Nähe des Freihofs. Doch der Mietvertrag wurde kurzfristig gekündigt, weshalb seit Juni 2018 die Alleenstraße 38 noch das Domizil ist. Jetzt also wieder das Dilemma: Eine neue Unterkunft muss her. „Ein typisches Ladengeschäft in der Fußgängerzone ist nichts für uns. Die Leute kommen mit dem Auto und bringen ihre Sachen“, sagt Tim Bauer. Kinder- und Puppenwagen, Gummistiefel und Ballschuhe, Spiele, Deko-Artikel, Klamotten und vieles mehr wird angeliefert. „Töpfe und Pfannen sind gefühlt keine 30 Sekunden im Regal. Alles, was im Haushalt gebraucht wird, geht schnell weg“, sagt Katharina Bauer. Ein guter Durchlaufposten ist auch Kinderkleidung. Bei den Büchern gibt es eine Stammkundschaft. Jan Wagner kennt schon die Lesegewohnheiten und berät. Für die großen Dinge wie Schreibtisch, Sessel oder Stühle gibt es die Pinnwand mit Angebot beziehungsweise Gesuch.

Nichts unnötig zu Müll machen

So wird der Slogan „Für mehr Nachhaltigkeit und Konsumbewusstsein im Alltag!“ in die Realität umgesetzt. Den Umgang mit Dingen neu denken, ist das Anliegen der Schenkscheune-Macher. Nichts zu Müll machen, bloß weil man es selbst nicht mehr braucht, sondern einfach wieder in den Kreislauf bringen, ist ihr Wunsch. Das gilt auch für Sachen, die ungenutzt im Haushalt rumstehen. „Dass man die Dinge bei uns gratis bekommt, ist ein Nebeneffekt“, sagt Katharina Bauer. Doch auch hier gilt: Im Sommer werden keine Daunenjacken mitgenommen, das heißt, sie werden erst im Winter angenommen.

Wer genau hinschaut, findet immer wieder originelle Dekoartikel. Foto: Jean-Luc Jacques
Wer genau hinschaut, findet immer wieder originelle Dekoartikel. Foto: Jean-Luc Jacques

Vom erhobenen Zeigefinger wollen Tim Bauer und seine Mitstreiter nichts wissen. „Wir wollen Alternativen zum Wegwerfen aufzeigen. Es darf jeder kommen und mithelfen - auch ohne Mitgliedschaft. Mein liebster Nebeneffekt der Schenkscheune: Hier sind alle gleich, niemand muss sich outen. Der Por­sche-Fahrer stöbert hier genauso rum, wie jemand, der sich kein Auto leisten kann“, sagt Katharina Bauer. Gefreut haben sie sich auch über 80 Tüten Chips, die jemand vorbeigebracht hat. Er hat sie im Sonderangebot gekauft, und dann festgestellt, dass er sie nicht mag.

 

Info Seit dem 1. Dezember gelten in der Schenkscheune neue Öffnungszeiten. „Dinge bringen“ ist montags von 12 bis 14 Uhr und donnerstags von 18 bis 19 Uhr möglich. „Dinge mitnehmen“ kann man donnerstags von 16 bis 18 Uhr und samstags von 12 bis 15 Uhr. Mehr über den Verein ist auf der Homepage unter www.schenkscheune.de zu erfahren.

Der Verein finanziert sich ausschließlich aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen

Schenkscheune auf Obdachsuche -  Alleenstrasse 38
Schenkscheune auf Obdachsuche - Alleenstrasse 38

Das rege Kernteam hat die für die Schenkscheune lange Aufenthaltsdauer zur Vereinsgründung genutzt. Zehn Gründungsmitglieder waren es, mittlerweile sind es 26. Der Jahresbeitrag beträgt zwölf Euro. „Das ist pro Monat ein Euro, das schafft irgendwie jeder. Davon bezahlen wir die Miete“, sagt Jan Wagner.

Entgegen anders lautender Meinungen erhält der Verein keine finanzielle Unterstützung von der Stadt. „Die Gerüchte sind falsch“, stellt Katharina Bauer klar. Die Mitglieder freuen sich, dass ihre Arbeit im Rathaus wohlwollend gesehen wird. Regelmäßig wird die Schenkscheune bei passender Gelegenheit auch immer wieder lobend erwähnt - mehr jedoch nicht.

Die Schenkscheune zählt sich zur Agenda­gruppe „GANZ“ unter Teck der Lokalen Agenda 2030 in Kirchheim. „GANZ“ steht für gemeinsam aktiv und nachhaltig in die Zukunft und ist ein Zusammenschluss von engagierten Menschen jeden Alters, die sich gemeinsam für einen nachhaltigeren Alltag einsetzen. Dazu gehören die Projekte Gemeinschaftsgarten und Schenkscheune, aber auch Einzelaktionen wie gelegentliche vegane Mitbring-Brunches oder Filmabende zum Thema Nachhaltigkeit.

„Da es keine leer stehenden städtischen Gebäude gibt, ist auch von dieser Seite keine Unterstützung zu erwarten“, sagt Tim Bauer. Deshalb sind er und seine Mitstreiter auf eigene Faust losgezogen, um sich nach passenden Objekten umzusehen, und haben dort Briefe eingeworfen. Es gab vier Rückmeldungen, die jedoch allesamt Absagen waren, beispielsweise weil der Abriss kurz bevorsteht. Der Abriss- und Neubauboom beschert der Schenkscheune möglicherweise einen weiteren Aufschub.

Die Auftragsbücher sind gut gefüllt, deshalb muss die Alleenstraße 38 noch warten und hat eine Galgenfrist. Nichtsdestotrotz brennt den Schenkscheune-Mitgliedern die Zeit unter den Nägeln, die drohende Obdachlosigkeit hängt wie ein Damoklesschwert über ihnen. „Eine Scheune wäre ideal, ein leer stehendes Bürogebäude ist für unsere Zwecke ebenfalls prima geeignet“, machen sie Werbung in eigener Sache und hoffen auf ein Angebot und damit Rettung in buchstäblich letzter Sekunde.

Die ungewisse Zukunft hält den Verein jedoch nicht vom Feiern ab. Er lädt am kommenden Freitag, 7. Februar, ab 19 Uhr zu einem Rembetiko-Abend ein. Zu hören ist griechische Bouzouki- und Gitarrenmusik, dazu gibt es in der Schenkscheune die passenden Leckereien. Der Eintritt ist frei, Spenden erwünscht. ih