Lokale Kultur

Neue Lust auf Brecht

Karla Andrä und Josef Holzhauser präsentierten Lyrik in der Stadtbücherei

Kirchheim  StadtbŸcherei Lesung Brechts "O Lust des Beginnens" mit Karla AndrŠ (Sprecherin) und Josef Holzhauser (Musik)
Kirchheim StadtbŸcherei Lesung Brechts "O Lust des Beginnens" mit Karla AndrŠ (Sprecherin) und Josef Holzhauser (Musik)

Kirchheim. Im Sommerprogramm der Stadtbücherei ist Poesie mit Musikbegleitung angesagt. Am Freitagabend war Brecht mit seinen Gedichten dran. Aus seiner Geburtsstadt Augsburg waren die Schauspielerin Karla Andrä und der Gitarrist Josef Holzhauser nach Kirchheim gereist. Gitarre, das passt zu Brecht. War er doch selbst in seiner Augsburger Jugendzeit durch die Kneipen gezogen und hatte „mit gellender Stimme“ seine Lieder gesungen. Speziell Frauen sollen dabei hupfig geworden sein, wie ein Freund voll Neid berichtet. Für die vertonten Lieder hat sich dann bleibend der Begriff „Song“ eingebürgert.

Karla Andrä hat sich die Lyrik Brechts, die lange im Schatten seiner „Stücke“ stand, vorgenommen und eine Auswahl getroffen. Sie entspricht der heutigen Brechtrezeption: Nachdem Brecht bis in die Siebzigerjahre eine dominante Rolle im Literaturbetrieb gespielt hat, interessiert heute kaum mehr der marxistisch geschulte Klassenkämpfer, sondern der Poet. „O Lust des Beginnens“, das Gedicht mit diesem Titel stammt zwar aus der Emigrationszeit, vermittelt aber keine Schwierigkeiten und kein Zähneknirschen, sondern den Schwung, den jedes auch noch so alltägliche „Beginnen“ in sich haben kann. Dieses Gedicht mit seiner positiven Einstellung zum Leben bildete das Motto, den Anfang und den Schluss des Programms.

Auch innerhalb dieses Rahmens blieben die Töne meist sanft. Das Thema Gartenpflege würde man bei Brecht nicht unbedingt vermuten. Erst recht nicht das Thema Liebe. Er ist ja als skrupelloser Frauenverbraucher verschrien. In seiner frühen Phase („Erinnerungen an Marie A.“) kommt seine zynische Einstellung zur Liebe zum Ausdruck. Karla Andrä macht uns darauf aufmerksam, dass der „alte“ Brecht unsentimentale, aber wunderschöne Liebeslieder geschrieben hat, so beispielsweise „Deine Sorg war meine Sorg/Meine Sorg war deine/Hattest du eine Freud nicht mit/Hatt´ ich selber keine“.

Freilich, Brecht als der Anwalt der Armen wird nicht ausgeklammert („Reicher Mann und armer Mann“). Doch es bleibt weitgehend bei der Klage über eine ungerechte Gesellschaft. Die Agit-Prop-Texte Brechts mit dem Aufruf zur Revolution sind durch den Fortgang der Geschichte, unter anderem mit dem Zusammenbruch der DDR, nicht mehr aktuell. „Alles wandelt sich“, und die Kraft des Wassers wird sich durchsetzen („Die Ballade vom Wasserrad“), Brechtsche Grundpositionen mit seinem dialektischen Fortschrittsglauben klingen noch an, aber sehr entfernt. Auch der „Anstreicher“ Hitler ist unausgesprochen präsent im „Lied von der Tünche“. Brecht wurde nicht müde, Hitler zu bekämpfen und ihn anzuprangern, weil er gesellschaftliche Widersprüche „übertüncht“.

Ganz in ihrem Element sind das Duo Andrä/Holzhauser beim „Fisch Fasch“ und den hinterlistigen Kinderversen, treten sie doch oft mit ihrem „Fakstheater“ vor Kindern auf, so auch beim diesjährigen Kirchheimer „Szenenwechsel“.

Aus dem heute noch lebendigsten Stück, der „Dreigroschenoper“, folgte der Mackie-Messer-Song und die bekannten Verse über die Moral des Menschen, die sich erst einstellt, wenn man ihm „auf den Hut“ haut .

Schließlich passte noch der weise Brecht ins Konzept mit der „Legende der Entstehung des Buches Taotseking“, allerdings mit dem Geständnis des Autors, dass – in seiner Exilsituation – seine Geduld mit der Weiterentwicklung der Geschichte seine Grenzen hat („Ich wäre auch gern weise“). Nach dem Grabspruch („Ich benötige keinen Grabstein“) und der Entschuldigung aus „An die Nachgeborenen“ wegen seiner Unfreundlichkeit bildete die freundliche „Lust des Beginnens“ sinnigerweise den Abschluss, ergänzt durch das „Lob des Lernens“, als Zugabe herausgeklatscht durch ein zufriedenes Publikum.

Andrä und Holzhauser arbeiten schon seit 1992 zusammen und verstehen sich blind. Holzhauser beherrscht virtuos die Konzert- und die E-Gitarre. Er stimmt mit Eigenkompositionen Texte ein, begleitet Lieder oder setzt Akzente mit Akkorden dazwischen. Karla Andrä veranstaltet keine Lesung, sondern eine durch ein Kopfmikrofon verstärkte freie Rezitation, wobei sie ihre schauspielerischen Mittel in angenehm zurückhaltender Weise im Dienst der Texte einsetzt. Das Programm ist auf seiner Darstellungsebene abwechslungsreich durchkomponiert. Wichtige Passagen werden immer wieder eingeflochten. Die Sympathiewerte für Brecht sind bei den Zuhörern – besser: den Zuhörerinnen – sicherlich gestiegen.