Kirchheim

Nie zu alt für steile Wände

Leidenschaft Die ehemalige Kirchheimerin Irmgard Braun ist eine begeisterte Kletterin –und das mit 68. Am liebsten ist sie in der Fränkischen Schweiz unterwegs. Von Marion Brucker

Irmgard Braun klettert sogar im Schlafzimmer.
Irmgard Braun hat ihr Schlafzimmer in ein regelrechtes Kletterparadies umgebaut. Foto: Marion Brucker

Über der Schlafzimmertür ist eine Leiste mit unterschiedlich großen Einkerbungen befestigt, Irmgard Brauns wichtigstes Trainingsgerät für die nächsten zwei Monate. Die 68-Jährige stärkt damit während des Winters ungefähr jeden dritten Tag ihre Finger. Zusammen mit Stretching-Übungen dauert das eine Stunde. „Um gut zu klettern, muss man auch beweglich sein“, erklärt die Kletterin, deren Schlafzimmerwände bis in den Dachgiebel hinein zu Kletterwänden umfunktioniert sind.

Seit mehr als 25 Jahren wohnt die ehemalige Kunst- und Mathematiklehrerin, die in Kirchheim aufgewachsen ist, mit ihrem Ehemann in Planegg bei München. In ihrer alten Heimat ist sie seit dem Tod der Eltern nur noch selten. Doch kommt sie einmal dorthin, dann zieht es sie auf den Würstlesberg. Dort standen damals nur ein paar Häuser, darunter ihr Elternhaus. „Es war ein wunderbares Haus mit einem großen Garten direkt am Wald“, schwärmt sie. Mit fünf oder sechs Jahren begann sie auf Bäume zu steigen. „Kinder klettern auf alles, wenn man sie nicht zurückhält, und meine Eltern haben mir das zugetraut.“

Irmgard Braun hat ihr Schlafzimmer in ein regelrechtes Kletterparadies umgebaut.

Mit 16 traf sie ihren ersten Ehemann. Mit ihm machte sie nicht nur Hochtouren, sondern kletterte zum Beispiel am Wieland- und Reußenstein. „Das waren eher leichtere Kraxeleien.“ Während der Referendarzeit in Marbach waren dann die Hessigheimer Felsengärten ihr bevorzugtes Ziel, und von da an wurde das Klettern für sie ein intensiver Sport.

Heutzutage fährt sie häufig mit ihrem zweiten Ehemann in die Fränkische Schweiz. Das ist ihr Lieblingsgebiet zum Klettern in Deutschland. „Dort ist es ziemlich steil, und es gibt viele kleine Löcher, da die Felsen versteinerte Korallen sind.“ Da brauche man sehr viel Fingerkraft. „Die Hände sind bei nicht sehr steilen Kletterrouten vor allem zum Gleichgewicht halten da, die Kraft muss aus den Beinen kommen, um mit ihnen nach oben zu schieben“, sagt sie.

Unterwegs im 9. Grad

Die 68-Jährige erzählt, dass sie trotz einer Handgelenkverletzung vor zwei Jahren von den insgesamt zwölf Klettergraden, die es gibt, im neunten Grad unterwegs ist. In der Welt des Klettersports ist das nichts für Gelegenheitskletterer.

Doch für Irmgard Braun spielen Zahlen keine Rolle. Als sie mit 30 Jahren ernsthaft mit dem Klettersport begann, schreckte es sie wenig, dass manche Leute sie für zu alt hielten und ihr prophezeiten, sie würde keine großen Leistungen mehr bringen können. Doch sie zeigte, was in ihr steckt. Ende der 80er- bis Anfang der 90er-Jahre war sie in der deutschen Sportkletterer-Nationalmannschaft, bestritt Deutschland- und Weltcups. „Ich will besser sein als ich“, meint sie, wenn man sie nach ihrem Ehrgeiz befragt.

Klettern ist der Sport Nummer eins für sie geblieben. „Das Verrückte ist, auch mit über 60 Jahren merke ich praktisch keinen Unterschied zu früher“, sagt die 68-Jährige. Zwei bis dreimal wöchentlich ist sie an der Wand, am Fels oder in der Kletterhalle. Mit drei bis vier Kletterfreunden ist sie regelmäßig auch unter der Woche unterwegs. Irmgard Braun war viel auf Reisen, kletterte in Australien, den USA und in Thailand. Sie schwärmt von der Symbiose von Sport und Natur. „Klettern, das ist für mich der Moment, in dem ich meinen Körper ganz intensiv spüren kann und absolut gegenwärtig bin.“

Was beim Klettern beachtet werden sollte

Klettern ist heutzutage ein Breitensport. „Wer an Bewegung Spaß habe, könne ihn ausüben, und zwar unabhängig vom Alter“, sagt Irmgard Braun. „Ich möchte Senioren Mut machen. Auch mit 60 oder 70 Jahren kann man noch mit dem Klettern anfangen.“ Die Vorstellung, jenseits der 60 sei alles vorbei, sei „Blödsinn“. Klettern ist ein idealer Alterssport, weil man sich dabei, anders als etwa beim Handball oder Badminton, eher langsam und kontrolliert bewegt.

Zur Ausrüstung gehören laut Braun Kletterschuhe, ein Gurt, Sicherungsgerät, Seil und ein Beutel mit Magnesia. Je nachdem, wie häufig man klettert, halten die Schuhe ein bis zwei Jahre, Sicherungsgerät und Gurt rund zehn Jahre,

Vom Bouldern rät sie in einem höheren Alter ab. Hier brauche man zwar weder Gurt noch Seil und Kletterpartner, aber das Abspringen aus bis zu fünf Metern Höhe belastet die Gelenke. Und auch beim Klettern mit Seil würden Konzentration, Gleichgewichtsinn und Muskulatur gleichermaßen trainiert. Es ist Muskeltraining mit dem eigenen Körpergewicht. Laut einer Statistik wird mit fortschreitendem Alter immer mehr Muskulatur abgebaut, und der Fettanteil nimmt zu. Im Seniorenalter kann das zu Gebrechlichkeit, Schwäche und Balancestörungen führen, Stürze und Knochenbrüche können dann die Folge sein. Aber dieser Prozess ist kein Schicksal - wenn die Kletterer sinnvoll trainieren. mb