Kirchheim

„Papier ist ein faszinierendes Material“

Die Kirchheimer Künstlerin Hannelore Weitbrecht haucht dem Naturprodukt neues Leben ein

Hannelore Weitbrecht mit ihrer Arbeit „Anzucht“, die aus Papier und Fruchtständen hergestellt wurde. Foto: Katja Eisenhardt
Hannelore Weitbrecht mit ihrer Arbeit „Anzucht“, die aus Papier und Fruchtständen hergestellt wurde. Foto: Katja Eisenhardt

Kirchheim. Wer das Haus und das darin untergebrachte Atelier der Kirchheimer Künstlerin Hannelore Weitbrecht betritt, kommt schnell

ins Staunen. Mit ihren zahlreichen Arbeiten wird deutlich, welch vielseitige Kunst aus Papier geschaffen werden kann. Hannelore Weitbrecht war früh klar, dass ihr späterer Beruf einmal ein künstlerischer sein soll: „Ich habe schon immer viel gemalt.“ Die logische Konsequenz war schließlich ein Kunstlehrerstudium. Doch Hannelore Weitbrecht ging nicht in den Schuldienst, sondern schloss ein Studium der Malerei an der Freien Kunsthochschule Nürtingen an.

„Seit 1981 arbeite ich als freie Künstlerin, zunächst mit dem Schwerpunkt Malerei, seit Anfang der 90er-Jahre habe ich mich auf die dreidimensionale Papierkunst spezialisiert“, erzählt die Künstlerin. Ein Schwerpunktthema sind dabei die Erscheinungsformen und die Veränderungen der Natur. „Dabei möchte ich die Natur nicht abbilden, sondern sie vielmehr im metaphorischen Sinn, mit neuen Formen und Zeichen darstellen.“ Die Werke reichen von fragilen Einzelstücken bis hin zu raumfüllenden, überwiegend mehrteiligen Installationen. Es geht bei den Arbeiten auch um die symbolhafte Darstellung von Wachsen und Vergehen im Kreislauf der Natur, um die Kultivierung durch den Menschen, aber auch um ihre Gefährdung. „Papier ist ein faszinierendes, sehr vielseitiges Material“, erklärt Weitbrecht. Das Papier – ebenfalls ein Naturprodukt – geht mit den kombinierten Naturmaterialien eine ideale Verbindung ein. „Papier ist hauptsächlich ein Speichermedium, man denke dabei nur etwa an Bücher“, sagt Hannelore Weitbrecht. Samen und Fruchtstände beispielsweise, die in den Arbeiten dargestellt werden, speichern wiederum das Wissen der Natur, sie sind Lebensspeicher und Grundlage faszinierender Gestaltungskräfte.

Der Übergang von der Malerei zur Papierkunst ist bei ihr ein fließender gewesen, verrät Weitbrecht, denn auch ihre Bilder haben schon die Natur als Thema gehabt. Sie wurden durch die Verwendung von Pigmenten und Papier zu Collagen und wuchsen durch zahlreiche überei­nandergelagerte Papierschichten immer mehr in den Raum. Die Werke haben Titel wie Blätter, Blüten, Keime – sie bilden einen begehbaren Garten im Raum. Die Ideen dazu kommen der Künstlerin oft im eigenen Garten. Es gibt Installationen mit den Titeln Geräte oder Schöpfgefäße, die den Erntegedanken symbolisieren. Für eine weitere raumgreifende Installation mit dem Titel Invasion hat Hannelore Weitbrecht zahlreiche optisch an Spinnen erinnernde und als Schwarm auftretende Gebilde aus Draht und Papier geformt: „Sie spiegeln die Dynamik der Natur wider, die ungebremste Vitalität.“ Bewusst dehnt sich die Installation vom Boden bis an die Wand aus, der Schwarm scheint auf den Betrachter unaufhaltbar zuzukommen. Grundsätzlich stellen ihre vielseitigen Arbeiten künstlerisch interpretiert die unterschiedlichen Prozesse und Bewegungen der Natur dar.

Ein besonderes Feld der Papierkunst sind bei Hannelore Weitbrecht ihre Buchobjekte. Sie sind eine Mischung aus dem Offensichtlichen und dem Verborgenen, etwas, dessen tieferer Sinn sich dem Betrachter vielleicht erst beim zweiten Hinschauen erschließt. Ein Beispiel hierfür ist etwa das Werk „Brockhaus“: Man sieht ein aufgestelltes, aufgeklapptes Lexikon, dessen einzelne Seiten miteinan­der verklebt wurden, in der Mitte steckt eine CD. „Es soll die Abwechslung der Lexika durch die Medien aufzeigen“, erläutert Weitbrecht. Ein weiteres, aktuelles Beispiel zeigt ein Buch mit dem Titel Facebook: Die Spiegel darin verweisen auf die Doppeldeutigkeit dieses Begriffs.

Mittlerweile gibt es einen großen Fundus an papiernen Werken im Hause Weitbrecht, die unterschiedlich kombiniert auf Ausstellungen zum Einsatz kommen können. Die Ideen gehen der Künstlerin nie aus: „Der Beruf muss einem Spaß machen, sonst funktioniert es nicht. Und mir macht er nach wie vor riesige Freunde und bleibt spannend.“

Die nächste Ausstellung von Hannelore Weitbrecht findet vom 15.  September bis 29. Oktober in der Galerie Pfaff in Schwarzenbruck bei Nürnberg statt.

Zur Person

Die Künstlerin: Hannelore Weitbrecht ist 1952 in Waldshut geboren und lebt in Kirchheim. Hier ist sie seit 30 Jahren im Kunstbeirat der Städtischen Galerie ehrenamtlich aktiv. Nach einem Kunstlehrerstudium in den Jahren 1970 bis 1974 hat sie von 1977 bis 1981 Malerei an der Freien Kunsthochschule in Nürtingen studiert. Seither arbeitet sie als freischaffende Malerin und seit 1993 vor allem im dreidimensionalen Bereich mit Papierobjekten und -installationen im Raum. Seit 1981 waren ihre Arbeiten in zahlreichen Einzelausstellungen im In- und Ausland zu sehen – darunter Frankreich, der Schweiz, Italien, Österreich und Israel. Seit 2010 ist sie auf der Art Karlsruhe vertreten. Von 2001 bis 2004 erhielt die Kirchheimer Künstlerin ein Atelierstipendium des Landkreises Esslingen, 2011 das Kavalierhaus-Stipendium der Stadt Langenargen am Bodensee. Im Jahr 2015 war Hannelore Weitbrecht Stipendiatin der Stiftung Bartels Fondation Basel. Die Regierungspräsidien Stuttgart und Freiburg sowie Museen und zahlreiche städtische Sammlungen haben ihre Arbeiten gekauft. Die Künstlerin ist Mitglied im Künstlerbund Baden-Württemberg. ke