Kirchheim

Pfleger wünschen sich mehr Zeit

Coronakrise Mitarbeiter in Altenhilfe-Einrichtungen erhalten im Juli bis zu 1 500 Euro Einmal-Prämie. Doch nicht alle applaudieren. Von Antje Dörr

Ein Dankeschön oder doch eher eine Art Schmerzensgeld? Die Meinungen über den finanziellen Bonus sind geteilt. Foto: Carsten Rie
Ein Dankeschön oder doch eher eine Art Schmerzensgeld? Die Meinungen über den finanziellen Bonus sind geteilt. Foto: Carsten Riedl

Es sei eine schöne Anerkennung, sagt Wilma Pfeffer, die als Altenpflegerin in einem Kirchheimer Pflegeheim arbeitet, über die Prämie. Dann folgt ein großes Aber. „Was mir und meinen Kolleginnen wirklich helfen würde, wäre ein besserer Pflegeschlüssel, damit wir wieder eine gute Pflege machen können.“ Mit guter Pflege meint sie vor allem: mehr Zeit für die Bewohner. Die gelernte Krankenschwester ist traurig und frustriert darüber, dass sie sich jedes Gespräch „aus den Rippen schneiden“ muss, weil zwischen Körperpflege und Essenbringen einfach kein Raum mehr dafür ist. Gerade in der jetzigen Zeit, in der die alten Menschen keinen Besuch von Angehörigen bekommen dürften und der Besuchsdienst wegfalle, seien Gespräche und Zuwendung noch wichtiger. „Früher hatte ich Zeit, zu einem Bewohner zu sagen: ‚Heute mache ich Ihnen mal ein schönes Fußbad‘“, erinnert sich die Pflegerin. „Heute müsste ich dafür meine Freizeit opfern und später nach Hause gehen.“

Die Unzufriedenheit mit der Art und Weise, wie sie ihre Arbeit machen muss, ist für Wilma Pfeffer das eine. Dazu kommen die Folgen des Zeitdrucks für sie selbst. „Es ist ein fürchterlicher Stress, man ist nach einer Schicht völlig fertig“, sagt sie. Auch psychisch sei die Arbeit belastend, weil sie die Not und die Bedürftigkeit der Menschen dauernd vor Augen habe. Durch das Maskentragen während der Arbeit, das in der Coronakrise hinzugekommen ist, habe sie nach drei Stunden Kopfschmerzen. Der Beruf sei für die jungen Menschen nicht mehr attraktiv, sagt Wilma Pfeffer. „Wenn die Pflegeschüler bei uns ihren praktischen Einsatz haben, sehen sie, dass sie für wenig Geld viel Leistung erbringen müssen, und was sie in der Schule lernen, können sie oft wegen des Zeitmangels noch nicht mal umsetzen.“

1 500 Euro ist der Maximalbetrag, den eine Vollzeit-Pflegekraft mit der Juli-Abrechnung steuerfrei erhalten soll. Teilzeitkräfte und andere Einrichtungs-Mitarbeiter, beispielsweise auch Reinigungskräfte, bekommen weniger. Dass die Prämie überhaupt in diesem Umfang gezahlt werden kann, war bis zuletzt unklar, weil es Gerangel um die Finanzierung gab. Nachdem der Bund zugesichert hatte, 1 000 Euro aus der Pflegekasse beizusteuern, waren Länder und Arbeitgeber aufgefordert, den Rest zu übernehmen. Pflegeheim-Betreiber hatten darauf verwiesen, dass sich ihre finanzielle Situation während der Coronakrise verschlechtert habe, weil Einnahmen weggebrochen seien. Beispielsweise hatten die meisten ihre Tagespflege weitgehend schließen müssen. „Bei acht Pflegeheimen unterhalten wir uns über einen sechsstelligen Betrag, der nicht refinanziert werden kann“, sagt Stefan Wiedemann, Geschäftsführer der DRK-Seniorenzentren im Altkreis Nürtingen, über die Beteiligung der Arbeitgeber an der Einmal-Prämie.

Die grün-schwarzen Regierungspartner in Stuttgart haben sich allerdings mittlerweile darauf verständigt, die fehlenden 500 Euro komplett zu übernehmen. Der Kabinettsbeschluss steht noch aus. „Den Beschäftigten in der Altenpflege, die derzeit besonders stark belastet sind, wollen wir in dieser Form nicht nur unseren Dank aussprechen, sondern ein klares Zeichen setzen: Gute Pflege ist uns mehr wert“, sagt Andreas Schwarz, Fraktionsvorsitzender der Landtags-Grünen. Dieses Bekenntnis müsse auch nach der Coronakrise weiter gelten. Deshalb müsse das Thema einer fairen Bezahlung von Pflege- und Gesundheitsberufen ganz oben auf die politische Agenda, so der Landtagsabgeordnete.

Mehr Personal wird benötigt

Eine nachhaltigere Lösung fordert Schwarz‘ Kollege, der SPD-Landtagsabgeordnete Andreas Kenner. Ihm geht die Prämie nicht weit genug. „Ich freue mich für die Kollegen, aber man müsste das dauerhaft über anständige Tariflöhne lösen“, sagt der Kirchheimer, der 36 Jahre lang in der Pflege gearbeitet hat. Wenn man zwei Kinder habe, reiche die Pflegeprämie nicht einmal für einen Urlaub. Und das Geld allein sei es auch nicht. „In der Pflege bräuchten wir dringend mehr Personal, damit es verlässliche Dienstpläne geben kann“, sagt er. 19 Tage am Stück zu arbeiten, sei keine Seltenheit. Ein Beruf, in dem man ständig einspringen müsse, sobald ein Kollege krank werde, könne nicht attraktiv sein. Ganz abgesehen davon findet Andreas Kenner es ein wenig ungerecht, dass eine Berufsgruppe eine Prämie bekommt und eine andere nicht. „Eigentlich hätten auch die Verkäuferinnen eine Prämie verdient“, sagt er, „oder die arbeitenden Mütter.“

Landfrauen stärken Pflegenden den Rücken

Der Landfrauenverband Württemberg-Baden fordert anlässlich der Diskussion um die Einmalzahlung für Pflegekräfte bessere Arbeitsbedingungen und eine höhere Entlohnung für die mehrheitlich weiblichen Arbeitnehmer in der Kranken- und Altenpflege. Es müsse einen einheitlichen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag aller Träger geben.

Zudem drängt der Landfrauenverband darauf, den Personalschlüssel zu erhöhen. Ein wesentlicher Grund für die geringe Attraktivität der Pflegeberufe sei die Arbeitsverdichtung. Wichtig seie eine gute und würdevolle Pflege, aber auch Arbeitsbedingungen, die die Pflegekräfte nicht krank machten. Dazu gehörten ein höherer und verbindlicher Personalschlüssel, ein verlässlicher Dienstplan und Zeit für Fort- und Weiterbildung. pm