Kirchheim
Rehe flüchten panisch in den Tod

Naturschutz Waldtiere verstecken sich oft unbemerkt in Wegesnähe. Werden sie aufgeschreckt, kann das dramatische Folgen haben. Besonders dann, wenn Hunde mit im Spiel sind. Von Katharina Daiss

Ungewöhnlich viele Rehe verunglückten in den vergangenen Monaten. Das berichten Jäger aus unterschiedlichen Revieren der Region. Betroffen ist auch das Revier Kirchheim-Bergwald, wie der Pächter Ulrich Kübler bestätigt: Elf Rehe wurden im vergangenen Jagdjahr in seinem Revier überfahren, bei sieben weiteren ist die Todesursache unklar. Ulrich Kübler und seine Mitjäger vermuten, dass Hunde dahinterstecken. „Kaum ein Hund ist mehr angeleint. Die Rehe flüchten panisch auf die Straße oder rennen in Zäune“, erläutert der Pächter seinen Verdacht. Auch dass die Unfälle tags geschehen, spricht für die Theorie. Denn die Rehe sind eigentlich zur Dämmerung aktiv. Der Zeitraum der Unfälle weist darauf hin, dass die Tiere aufgeschreckt wurden.

Trauriger Höhepunkt der Entwicklung: An einem viel belaufenen Weg entdeckten Spaziergänger ein frisch gerissenes Reh. „Das Rissbild sprach eine eindeutige Sprache“, berichtet Ulrich Kübler, der als Pächter zum Ort des Geschehens gerufen wurde. Er fand Bissspuren an der Gurgel und im Darmbereich des toten Tieres. „Die müssen sich richtig sattgefressen haben“, erinnert er sich. Obwohl der Kadaver noch leicht warm war, war der „Täter“ schon über alle Berge. Dass das Reh von Hunden gerissen wurde, steht für den Jäger außer Frage. „Wölfe haben wir hier nicht und Füchse kommen gegen ein ausgewachsenes Reh nicht an“, schließt Ulrich Kübler andere Verdächtige aus. Er hofft, dass dieser blutige Fund ein Einzelfall bleibt.

Dabei will Ulrich Kübler Hunde und Halter nicht unter Generalverdacht stellen. „Ich behaupte nicht, dass die Rehe durch wildernde Hunde aufgeschreckt werden. Ich glaube auch, dass die meisten Hunde auf Ruf zurückkommen“, sagt er und erklärt, dass die Wildtiere näher sind, als viele Spaziergänger glauben: „Die Rehe liegen im Wald oft keine 30 Meter neben dem Weg. Wenn der Hund dann mal zehn Meter vom Weg abkommt, genügen schon ein paar weitere Sprünge, bis er dort ist, wo das Wild sich versteckt“, erklärt er. Das aufgeschreckte Wild flieht vor dem Eindringling und gerät, wenn es Pech hat, in Zäune oder unter die Räder. „Der Hund ist oft die Ursache für den Wildunfall, ohne dass er tatsächlich wildert“, erklärt der Pächter seine Theorie. „Oft genügt eben ein kurzes Aufscheuchen des Wildes über wenige Meter bei direkt daneben liegenden Straßen. Das sind bei uns die Kreisstraße nach Notzingen und die Bundesstraße nach Schlierbach“. Geschieht ein Wildunfall, ist es laut Ulrich Kübler auch dann wichtig, Jäger oder die Polizei zu informieren, wenn das angefahrene Tier noch weglaufen kann. „Wenn nur ein Bein gebrochen ist, kann das Reh zwar noch weglaufen, es ist möglicherweise aber so stark verletzt, dass es seinen Verletzungen erliegen wird. Möglicherweise quält es sich tagelang“, sagt Ulrich Kübler. Darum müssen die Jäger nach dem Tier suchen und seine Verletzungen abschätzen.

Dass im Wald und auf den Wiesen bald wieder Ruhe einkehrt, ist unwahrscheinlich: Die Menschen zieht es verstärkt ins Grüne, und durch den Trimm-Dich-Pfad und den Hundesportplatz ist das Revier ein wahrer Besuchermagnet. „Wir sind ein Naherholungsgebiet, der Freizeitdruck ist gerade zu diesen Zeiten entsprechend hoch. Darum muss die gegenseitige Rücksicht verstärkt werden“, meint Ulrich Kübler. Er hofft auf das Verständnis von Hundebesitzern und Naturfreunden, besonders angesichts der nahenden Brut- und Setzzeit, während der sich die Jungtiere schutzlos im hohen Gras verstecken. „Die Natur ist nicht so einsam, wie man sie empfindet“, erklärt er.