Kirchheim

Sachten Schritts zurück in den Alltag

Kliniken Weil sich die Corona-Lage entspannt, kann in den Krankenhäusern wieder operiert werden. Das bringt dringend benötigtes Geld in die Kasse. Von Bernd Köble

Nicht lebensnotwendige Eingriffe mussten in den Kreiskliniken zuletzt warten. Sinkende Infektionszahlen lassen dies inzwischen w
Nicht lebensnotwendige Eingriffe mussten in den Kreiskliniken zuletzt warten. Sinkende Infektionszahlen lassen dies inzwischen wieder zu. Foto: Jean-Luc Jacques

Ob er sich sorge, weil Meck­lenburg-Vorpommern nun Pfingsturlauber scharenweise an die Ostsee locke? „Stellen Sie mir diese Frage in drei Wochen wieder“, wehrt Thomas Kräh ab. Eine schlüssige Antwort auf die Frage nach dem richtigen Maß von Lockerungen in der Krise fällt auch dem Geschäftsführer der drei Medius-Kliniken in Kirchheim, Nürtingen und Ruit schwer. Was für ihn im Moment zählt: In den Krankenhäusern entspannt sich die Lage, wird eine schrittweise Rückkehr zur Normalität möglich. Mehr als 90 an Covid-19 erkrankte Patienten wurden vor vier Wochen hier noch stationär behandelt. Etwa ein Drittel davon auf Intensivstationen. Inzwischen ist die Zahl auf 27 Erkrankte, die klinisch versorgt werden müssen, gesunken. Acht Patienten hängen im Moment noch an Beatmungsgeräten. Im Klinikum in Esslingen und in der Filderklinik in Bonlanden sieht es ähnlich aus.

Bisher wurde nur in Notfällen und bei akuten Krebserkrankungen operiert, um Personal und medizinisches Gerät für die Intensivbetreuung von Covid-19-Patienten verfügbar zu halten. Jetzt sollen schrittweise auch planbare Eingriffe wieder stattfinden. Ein Muss nicht nur, um verschleppten Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall vorzubeugen, sondern auch aus finanzieller Sicht: In der stationären Patientenversorgung haben die Medius-Kliniken im ersten Quartal des Jahres einen Umsatzeinbruch von fast 35 Prozent erlebt. Bei einem jährlichen Umsatzvolumen von mehr als 200 Millionen Euro fehlen allein bei Erlösen aus Krankenhausleistungen rund 7,1 Millionen Euro in der Kasse. 5,7 Millionen davon übernimmt der Staat per Gesetz. Das Defizit, das bleibt, wird dadurch verschärft, dass sich die Medius-Kliniken in größter Not für 2,7 Millionen Euro Schutzausrüs­tung auf einem völlig überhitzten Markt beschaffen mussten, die den Bedarf nur mit Mühe decken konnte. Was davon bisher zurückkam: rund 100 000 Euro. „Was wir vom Bund jetzt brauchen, ist ein Nachfinanzierungsgesetz“, sagt Thomas Kräh. Italienische Verhältnisse mit aller Macht vermeiden, „darum ist es gegangen, und dafür haben wir gesorgt“, sagt der Klinikchef. „Jetzt darf man uns nicht im Regen stehen lassen.“

Nicht im Regen stehen lassen heißt auch, die richtigen Lehren aus den Erfahrungen der vergangenen Wochen zu ziehen. Für Kräh bedeutet das, die radikale Schrumpfkur, befeuert durch Expertisen wie die Bertelsmann-Studie im vergangenen Sommer, neu zu überdenken. „Diese pauschalen Bettenkürzungs-Diskussionen, die haben uns schon sehr auf den Magen geschlagen“, sagt er und betont: „Eine weitere massive Ökonomisierung sollte als No-go eine der Lehren aus der Krise sein.“ Wohin der Abbau von Klinikkapazitäten in vielen Ländern Europas geführt hat, ist für ihn offensichtlich: „Die Bilder aus Spanien, wo es nur die Hälfte der Betten wie hierzulande gibt, sind uns alle noch im Kopf.“

Damit im Falle eines erneuten Anstiegs der Infiziertenzahlen die Lage beherrschbar bleibt, bauen die Krankenhäuser im Kreis vor. Mit einer rechnerischen Reserve, die innerhalb von 72 Stunden für Corona-Patienten zur Verfügung stehen könnte und die ein Drittel der Gesamtkapazität ausmacht. Eine Reaktivierung der Notklinik in der Messe auf den Fildern, die aus wirtschaftlichen Gründen aufgegeben wurde, bevor die ersten Patienten dorthin verlegt wurden, wäre da schon aufwendiger. Rund zwei Wochen würde es dauern, Betten und medizinisches Gerät in die Messehalle zurückzuschaffen.

Die Hoffnung, dass es dazu nicht kommt, ist inzwischen groß. Zu einer Situation wie nach den Faschingsferien, als alle Kapazitäten erschöpft waren und drei Patienten in Nachbarkreise ausgeflogen werden mussten. „Damals sind wir von den Ereignissen überrollt worden“, sagt Thomas Kräh. Es gab weder Abstrichzentren noch Schwerpunktpraxen. Jetzt hat man wertvolle Erfahrungen gesammelt. Eine davon: Die Zusammenarbeit der fünf Kliniken im Kreis funktioniert ebenso wie der Zusammenhalt des Personals. Aushelfen, wo die Not am größten ist, unabhängig vom Tätigkeitsfeld - „Deshalb war Kurzarbeit bei uns kein Thema“, sagt Kräh.

Solidarität und Wertschätzung tun gut

Gratis-Schokolade vom Hersteller, Pizza frei Haus und Aufmunterung im Netz - die öffentliche Wertschätzung, die Klinikmitarbeiter in der Coronakrise erfahren, ist eine der wenigen positiven Seiten der Pandemie. In den Medius-Kliniken hofft man nun - wie überall sonst im Land - dass sich dies unterstützend im Kampf gegen den Fachkräftemangel auswirkt.

Dem Klinikverbund im Landkreis Esslingen ist es im vergangenen Jahr immerhin gelungen, die Zahl der Mitarbeiter um fünf Prozent zu erhöhen. Dafür waren Werbe-Offensiven auch im Ausland nötig. „Wir hoffen sehr, dass wir weiterhin junge Menschen gewinnen können, die den Weg zu uns in die Ausbildung finden“, sagt Klinik-Geschäftsführer Thomas Kräh. Noch wichtiger als Anerkennung dürfte allerdings die jetzt angestoßene Debatte um eine faire Bezahlung sein. bk