Lokale Wirtschaft

Segel und Massage für die Dellen

Sachverständige begutachten in Kirchheim tagtäglich hagelgeschädigte Autos – Bei den Technikern ist Gefühl gefragt

Gutachter Gerhard Lares arbeitet mit dem Dellen-Segel (großes Bild). Die Dellen-Doktoren nebenan hämmern, saugen, drücken und ma
Gutachter Gerhard Lares arbeitet mit dem Dellen-Segel (großes Bild). Die Dellen-Doktoren nebenan hämmern, saugen, drücken und massieren, um das Blech in seinen ursprünglichen Zustand zu versetzen.Fotos: Jean-Luc Jacques

Kirchheim. Langsam lässt Gerhard Lares das kreisrunde, gestreifte Stoffschild über die Motorhaube des silbernen Fords wandern. Er bückt sich, kippt das Segel ein wenig, murmelt leise ein paar Zahlen vor sich

Bianca Lütz-Holoch

hin und zückt schließlich Block und Stift. Gerhard Lares ist Dekra-Sachverständiger. Seit Anfang August nehmen er und seine Kollegen Tag für Tag in Kirchheim hagelgeschädigte Autos für die Württembergische Gemeindeversicherung (WGV) unter die Lupe. Bis zu acht Gutachter in wechselnder Besetzung sind täglich bei den Sammelterminen in einer Halle im Gewerbegebiet vor Ort – auch samstags. „Wir arbeiten mit Hochdruck“, sagt Thomas Kassner, Leiter der zuständigen Dekra-Niederlassung in Ulm. „Insgesamt müssen wir im Raum Kirchheim 6 900 Autos begutachten.“

In der Halle herrscht unterdessen entspannte Stimmung. Im Viertelstunden-Takt wechseln die Autos unter den gestreiften Pavillions in der Halle. Warteschlangen gibt es nicht, dafür Kaffee, Getränke und Kekse.„Auf der Motorhaube sind es nur acht Dellen“, gibt Gerhard Lares der Besitzerin des Fords einen kurzen Zwischenstand, bevor er wieder sein kreisrundes, federleichtes Instrument zückt und sich dem Dach widmet. „Das ist ein so genanntes Dellen-Segel. Es hilft uns dabei, die Hagelschäden besser zu erkennen“, informiert Gerhard Lares und erklärt gleich, wie das funktioniert: Die Streifen des Stoffschilds spiegeln sich im Autolack. Gibt es dort einen Knick, weist das auf eine Delle hin. Auf dem Dach des Fords findet der Diplom-Ingenieur 70 Hageldellen mit einem durchschnittlichen Durchmesser von 40 bis 50 Millimetern. Alles in allem scheint der Wagen glimpflich davongekommen zu sein. „Ich habe hier in den vergangenen Wochen Dinge gesehen, die hat es noch nie zuvor gegeben“, sagt Gerhard Lares und schüttelt den Kopf. „Wir hatten Dellen mit einem Durchmesser von 15 bis 20 Zentimetern – sowas bekommt man kaum mit dem Hammer hin.“

Anzahl und Größe der Schäden sind für die Gutachter ebenso wichtig wie die Tiefe. Anhand dieser Informationen lässt sich nämlich berechnen, wie viel die Hagelschaden-Reparatur eines Autos die Versicherung wohl kosten wird. Geschaut wird etwa auch, ob der Lack gerissen ist und ob die Dellen an Kanten liegen. „Dann muss nämlich neu lackiert werden“, sagt Lares – eine teure Angelegenheit. Sind darüber hinaus noch Scheiben zu Bruch gegangen, kommt schnell eine ordentliche Summe zusammen. „Es gibt sehr viele Totalschäden“, weiß Lares. Betroffen seien da vor allem ältere und niedrigpreisige Autos. Wie es um ihren fahrbaren Untersatz bestellt ist, erfahren die Autobesitzer allerdings nicht sofort. Das Gutachten kommt später per Post oder Mail.

Während in der Halle noch die Gutachter am Werk sind, rücken direkt nebenan speziell ausgebildete Hageltechniker der Firma HPI den Dellen zu Leibe. Einer von ihnen ist Josef Ratter. Er kommt ursprünglich aus der Metallbranche, ließ sich vor sieben Jahren aber zum Dellenspezialisten ausbilden. Um beschädigte Autos von den ungeliebten Kratern zu befreien, ist eine Menge Knowhow, Erfahrung und vor allem auch Fingerspitzengefühl gefragt. „Je nach Ort und Ausprägung der Dellen, gibt es unterschiedliche Techniken“, erläutert Josef Ratter und nimmt sich eine der kleineren Einbuchtungen vor. Als erstes drückt er eine Art Stempel mit Heißkleber auf die Delle, wartet kurz und setzt dann einen Ziehhammer an, der das Metall nach außen saugt. „Statt einer Delle haben wir jetzt eine leichte Beule“, erläutert Ratter. Die lässt sich ganz einfach mit einem speziellen, meißelartigen Stift und Hammer beseitigen. Ein paar mal gezielt klopfen – und selbst im gleißenden Speziallicht ist nichts mehr zu sehen. Anders läuft es bei den Schäden im Dach. „Da müssen wir zuerst den Dachhimmel ausbauen“, beschreibt der Dellentechniker das Prozedere. Dann wird eine Hilfsöse in die Tür eingehakt und ein langes Instrument durchgeschoben. „Dann drücke und massiere ich die Delle mit Gefühl, bis das Blech wieder an seiner ursprünglichen Position ist“, erklärt Josef Ratter und demonstriert sogleich die „Wunderheilung“. „Man kriegt die Dellen wirklich zu 100 Prozent weg.“

In der Halle nebenan laufen die Begutachtungen weiter – und zwar noch mindestens zwei oder drei Wochen lang. „Wir planen, bis Ende Oktober fertig zu sein“, sagt Dekra-Niederlassungsleiter Thomas Kassner. Seit dieser Woche schwärmen auch Gutachter aus, um fahruntüchtige Autos, abgemeldete Fahrzeuge, beschädigte Wohnwagen und Wohnmobile an ihren Standorten anzuschauen. Eine Menge Arbeit für die Gutachter – aber nicht nur für sie: Bereits die Organisation und Terminvergabe hatte die Dekra vor eine Herausforderung gestellt. „Wir haben sechs Studenten angestellt, die die Versicherten quasi rund um die Uhr angerufen und angeschrieben haben.“ Bis die Hagelschäden auch für die Autobesitzer erledigt sind, kann es ebenfalls noch dauern: Termine vergeben die Dellendoktoren derzeit zum Teil bis in den April nächsten Jahres hinein.

Hagelschadens bei DEKRA
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