Kirchheim

Sehenden Menschen die Augen öffnen

Inklusion Die Bezirksgruppe Nürtingen-Kirchheim des Blinden- und Sehbehindertenverbands stellt sich am Samstag in der Max-Eyth-Straße vor. Von Anke Kirsammer

Bettina Röck, Irene Negraszus und Ewald Löw setzen außer Haus auf den Langstock, um sich zurechtzufinden. Am internationalen Tag
Bettina Röck, Irene Negraszus und Ewald Löw setzen außer Haus auf den Langstock, um sich zurechtzufinden. Am internationalen Tag des weißen Stocks am Samstag wollen sie mit anderen Sehbehinderten über ihre Anliegen informieren.Foto: Carsten Riedl

Das Verständnis von sehenden gegenüber sehbehinderten Menschen zu verbessern ist ein Anliegen des Blinden- und Sehbehindertenverbands Württemberg. Am kommenden Samstag, 15. Oktober, informiert die Bezirksgruppe Nürtingen-Kirchheim von 10 bis 14 Uhr in der unteren Max-Eyth-Straße über ihre Arbeit. Eingebettet in die Woche des Sehens, nutzt die Selbsthilfegruppe den internationalen Tag des weißen Stocks, um sich vorzustellen.

„Das größte Problem ist, dass sich viele Menschen aus Unwissenheit falsch verhalten“, sagt der Bezirksgruppenleiter Ewald Löw. Sei es, dass Zugreisende auf den Leitlinien am Bahnsteig stehen beziehungsweise ihre Koffer darauf abstellen oder dass sie – wie am Schlossplatz in Kirchheim – ihre Fahrräder auf den Platten parken, die eigentlich für Rollstuhlfahrer oder Menschen mit Rollatoren frei gehalten werden sollen.

Kommunikation lautet für Ewald Löw das Zauberwort im Umgang von sehenden und sehbehinderten Menschen. „Wer uns helfen will, soll fragen“, so der 55-jährige Bruckener, der durch einen Unfall sein Sehvermögen zum Großteil eingebüßt hat. Auch an die Mitglieder der Selbsthilfegruppe appelliert er, höflich zu reagieren. „Sehr angenehm ist es, sich in einer unbekannten Umgebung bei jemandem unterhaken zu können, sagt die stellvertretende Bezirksgruppenleiterin Bettina Röck, die ebenfalls in Brucken wohnt. „Was ich gar nicht mag, ist, wenn mich jemand schiebt.“ Froh sind die Mitglieder der Bezirksgruppe über Menschen, die im sogenannten Begleitservice arbeiten und sich beispielsweise bei Ausflügen hinters Steuer setzen oder anderweitig ihre Unterstützung anbieten.

In der gewohnten Umgebung kommen sehbehinderte und blinde Menschen oft gut alleine zurecht. „Wir haben ein sehr gutes Orientierungsvermögen“, betont die Weilheimerin Irene Negraszus, die im Blindenverband Württemberg als Delegierte fungiert. Wenn sie schon einmal an einem Ort war, weiß sie beim nächsten Mal genau, in welche Richtung sie laufen muss. Nicht zuletzt hilft Menschen, deren Sehvermögen stark eingeschränkt ist, ihr weißer Stock. „Das ist unser Auge. Mit dem fühle und gucke ich“, erklärt Ewald Löw. Was früher die mit drei schwarzen Punkten versehene gelbe Armbinde war, hat der Langstock übernommen. „Damit erkennen uns die Menschen als Sehbehinderte“, sagt Löw. Dennoch scheint das Wissen über das Kennzeichen noch nicht überall verbreitet zu sein. „Ich bin schon darauf angesprochen worden, ob ich zum Golfspielen gehe“, erzählt Irene Negraszus schmunzelnd. Bettina Röck setzt zudem auf ihren Blindenhund. Fatal ist es jedoch, wenn Passanten ihn am Geschirr anfassen und ihn auf diese Art ablenken.

Nutzen wollen die sehbehinderten Menschen ihre Präsenz in der Fußgängerzone nicht nur, um Sehenden die Augen zu öffnen, sondern auch, um Menschen, deren Sehkraft nachlässt, zu ermutigen, sich der Selbsthilfegruppe anzuschließen. Schon aufgrund der demografischen Entwicklung geht Löw davon aus, dass die Zahl sehbehinderter Menschen zunimmt. Die Gruppe hilft nicht nur dabei, Kontakte zu pflegen und sich auszutauschen, sondern sie bietet auch gemeinsame Unternehmungen an. Darüber hinaus unterstützt sie unter anderem beim Ausfüllen von Anträgen für die Blindenhilfe und stellt mit Blindenschrift versehene Schablonen bei Wahlen zur Verfügung. „Wir klären auch darüber auf, was für tolle Hilfsmittel es gibt“, so Löw. Dazu zählen Hörmedien, sprechende Waagen und Uhren sowie Vergrößerungsgeräte fürs Lesen.

Der Infostand am Samstag soll auch zur Präsentation von derlei Hilfsmitteln dienen. Besucher können mit verbundenen Augen das Gehen mit dem Langstock testen. Zwar nicht zum Selbsttest, sondern eher als Aufforderung steht auch ein Tandem bereit. Selbst häufig zusammen mit seiner Frau auf dem Fahrrad unterwegs, betont Löw, wie wichtig das Gefährt ist, um sich sportlich zu betätigen. „Es zeigt, dass wir Blinde auch Hobbys und Spaß haben“, sagt Bettina Röck, die gerne öfter in die Pedale treten würde. Doch dazu bräuchte sie einen Piloten. „Vielleicht finden wir welche“, so hofft sie. Löw setzt darauf, dass der Infostand eine Plattform ist, mit der die Selbsthilfegruppe zeigt: „Wir sind normale Menschen. Mit uns kann man umgehen wie mit anderen auch.“