Kirchheim

Sehnsuchtsort oder Holzacker

Sommerprogramm Unter dem Titel „Der Wald im Kopf“ unternimmt die Schauspielerin und Sprecherin Luise Wunderlich aus Stuttgart den Versuch einer „literarischen Aufforstung“. Von Ulrich Staehle

Das Publikum in der Kirchheimer Stadtbücherei bekam von Luise Wunderlich und Bernd Settelmeyer einen bunten und reichen Blumenst
Das Publikum in der Kirchheimer Stadtbücherei bekam von Luise Wunderlich und Bernd Settelmeyer einen bunten und reichen Blumenstrauß an Texten geboten.Foto: Carsten Riedl

Der Deutsche habe ein besonderes Verhältnis zum Wald, so heißt es: Er stehe für den Ort der Verzauberungen, der Elfen und Zwerge, der gruseligen oder erlösenden Märchen, kurzum: der Wald als Ort der Romantik.

Luise Wunderlich hat unter dem Titel „Der Wald im Kopf“ Texte zum Thema Wald zusammengestellt und mit dem Percussionisten Bernd Settelmeyer in der Kirchheimer Stadtbücherei vorgetragen. Schon der Titel signalisiert, dass Wunderlich nicht vorbehaltlos der Romantisierung des Waldes folgt. Hans Magnus Enzensberger hat im Essay „Der Wald im Kopf“ süffisant die deutschromantische Waldvorstellung demontiert, indem er darauf hinweist, dass der Wald schon immer ein Wirtschaftsfaktor war. Er ist Rohstofflieferant, von einer Forstverwaltung verwaltet, die auch noch ein paar Wanderwege angelegt und ausgeschildert hat.

Aus diesem Text zitiert Wunderlich im ersten Teil immer wieder, im Kontrast zu allzu waldseligen Zitaten, Volksliedern und Eichendorff-Gedichten. Auch für Enzensbergers Position gibt es literarische Ausformungen. So erzählt der zeitgenössische Schweizer Autor Peter Stamm von einer jungen Frau namens Anja, die in einem unromantischen Wald nichts als eine Zuflucht vor einem unbefriedigenden Leben sucht und wieder in „normale“ Lebensumstände zurückfindet. Den Abschluss des ersten Teils bildet dann aber doch das Märchen der Gebrüder Grimm „Die Alte im Wald“. Auch hier geht es um ein armes junges Mädchen im Wald. Doch im Märchen ist der Wald eine Bedrohung. Das Mädchen wird für ihren Mut belohnt bei der Erlösung von einem Zauber einer bösen „Alten“: Ein Baum verwandelt sich zurück in einen Königssohn, der natürlich ihr künftiger Gemahl wird.

Nach der Pause darf viel gelacht werden. Die Autorennamen Christian Morgenstern („Der heilige Pardauz“), Heinz Erhardt („Die Made“) und Ringelnatz („Im Park“) sprechen für sich. Doch es gibt auch ernste Waldtexte, vom Amerikaner Henry David Thoreau, der einige Jahre im Wald gelebt hat. Peter Wohlleben, der Autor des Bestsellers „Das geheime Leben der Bäume“ kommt zu Wort und natürlich klassische Texte wie „Die Eichbäume“, ein Gedicht von Hölderlin, in dem die Eichbäume die absolute Freiheit des Dichtertums versinnbildlichen.

Als Kontrast zu diesen hehren Dichterhöhen zitierte Wunderlich Lautgedichte mit dem Waldthema in der Dada-Manier von Kurt Schwitters und Raoul Hausmann. Sie erntete mit dieser artistischen Leistung Sonderapplaus. Natürlich darf bei dieser Thematik Goethes „Über allen Gipfeln ist Ruh“ nicht fehlen, aufgeraut allerdings anschließend durch die Erinnerung an die amerikanische Widerstandskämpferin Mildred Harnack, die kurz vor ihrer Hinrichtung durch die Nazis dieses Gedicht ins Englische übersetzte.

Dem Publikum, das trotz der Hitze bei der Anreise zahlreich in die Stadtbücherei gekommen war, wurde also ein überaus bunter und reicher Blumenstrauß von Texten geboten. Natürlich mussten diese Texte auch attraktiv dargeboten werden. Luise Wunderlich, an diesem Abend barfüßig und in langem grünem Rock ein bisschen Waldfee, ist Sprecherin beim Südwestrundfunk, Sängerin und Schauspielerin und hat schon mehrfach in Kirchheim ihr Können bewiesen. Sie vermag, je nach Text, die verschiedenen Tonlagen anzuschlagen und durch Gestik und Mimik zu unterstützen.

Ihr zur Seite stand diesmal Bernd Settelmeyer, ein Hexenmeister der Percussion. In der Pause bestaunte das Publikum die wundersamen Instrumente wie die balinesischen Gongs oder vietnamesische Tempeltrommeln, mit denen er die Texte Wunderlichs unaufdringlich, aber wirkungsvoll begleitete. Dazwischen legte er auch mal ein kräftiges Solo hin.