Coronavirus

Sie kennen die Angst vor dem Virus

Rückkehr Die Kirchheimer Familie Abendschein hat ihren Urlaub in China abgebrochen, als erste Fälle von Corona auftraten. Von Katharina Daiss

Endlich wieder unbeschwert leben, heißt es jetzt für die Kirchheimer Familie, nachdem sie sich zwei Wochen komplett zurückgezoge
Endlich wieder unbeschwert leben, heißt es jetzt für die Kirchheimer Familie, nachdem sie sich zwei Wochen komplett zurückgezogen hatte. Foto: Jean-Luc Jacques
Die 3M-Masken vermittelten Martin Abendschein in China ein Gefühl der Sicherheit.
Die 3M-Masken vermittelten Martin Abendschein in China ein Gefühl der Sicherheit.

Einen schönen Urlaub im Herkunftsland seiner Frau hatte Martin Abendschein geplant. Zusammen mit den beiden Söhnen feiert die Großfamilie in Wuhu das Chinesische Neujahrsfest, sorgenfrei und losgelöst vom Alltagsstress. Doch nur kurze Zeit später melden die Medien erste Fälle des Coronavirus im etwa 600 Kilometer entfernten Wuhan. Die Besorgnis wächst, Wuhu wird abgeriegelt. Vor der Haustür tragen alle Schutzmasken. Martin Abendschein ist enttäuscht, doch er hat auch Angst um seine Familie. Gemeinsam beschließen sie, schon früher zurückzufliegen. Der Familienvater bucht einen Flug für den 30. Januar bei der Lufthansa.

„Was, wenn auch Shanghai dichtmacht?“ fragt sich die Familie ängstlich, als sie ihre Fahrt antritt. Die Mautstationen zwischen Wuhu und Shanghai sind fast alle geschlossen. Nur an einer Stelle können die Reisenden die Grenze noch passieren. Dort warten schon Beamte mit ihren Temperaturscannern und ziehen direkt vor der Familie eine Frau mit erhöhter Temperatur aus der Schlange. „Hoffentlich geht es uns nicht auch so“, denkt Martin Abendschein. Der Familienvater hat noch ganz andere Sorgen. Erste Meldungen von gestrichenen Flügen machen die Runde. „Bist du sicher, dass du noch fliegen wirst?“, schreiben ihm Kollegen. Stündlich checkt er nervös den Live-Ticker und stellt erleichtert fest: Nichts hat sich geändert.

Gemüse und Obst erhalten die Bewohner von Wuhu aus Automaten, die überall in der Stadt aufgestellt wurden.Fotos: Abendschein
Gemüse und Obst erhalten die Bewohner von Wuhu aus Automaten, die überall in der Stadt aufgestellt wurden.Fotos: Abendschein

Am Flughafen können die Abendscheins schon von Weitem den Sensor erkennen, der die Temperatur jedes Reisenden kontrolliert. An der Passkontrolle müssen sie ein letztes Mal den Scanner über sich ergehen lassen. Dann betreten sie endlich das Flugzeug und blicken in ein Meer aus Masken. Erst jetzt begreift die Familie, wie viel Angst die Menschen vor einer Ansteckung haben. Nur zum Essen werden die Masken abgenommen. Die übrigen Stunden bleiben Mund und Nase bedeckt. Bevor die Passagiere das Flugzeug verlassen, füllen sie ein Dokument aus, damit sich die Airline melden kann, falls ein Passagier am Virus erkrankt. Dann endlich haben die Abendscheins wieder deutschen Boden unter den Füßen - und betreten eine ganz andere Welt: Weder Temperaturscanner noch Schutzkleidung gibt es in Frankfurt, und spätestens ab der Passkontrolle nehmen die Passagiere des Fluges aus Shanghai auch ihre Masken ab. Das erste Mal, seit sie das Haus in Wuhu verlassen hat, kann die Familie wieder frei durchatmen: In Deutschland gibt es noch kein Corona.

Zurück in Kirchheim müssen sie sich erst mal orientieren. Im Kindergarten gibt es keine Einschränkung, doch die Eltern beschließen, den fünfjährigen Lukas und den dreijährigen Matthias für die nächsten zwei Wochen zu Hause zu behalten. Lei Yang ist Kassiererin in einem Supermarkt und Masseurin. Ihren eigenen Kunden sagt sie ab, der Supermarkt gibt ihr zwei Wochen frei. Martin Abendschein, der in Salach arbeitet, bleibt nach Absprache mit seiner Firma ebenfalls für zwei Wochen zu Hause. Es ist eine reine Vorsichtsmaßnahme, die sich die Familie selbst auferlegt hat. Maximal 14 Tage Inkubationszeit hat das Coronavirus laut dem Robert-Koch-Institut. Eben diese 14 Tage will die Familie abwarten. Nichts geschieht in dieser Zeit: kein „respiratorisches Symptom“, wie es das Robert-Koch-Institut definiert, keine erhöhte Temperatur, auf die in China überall getestet wird.

Mittlerweile ist ein Monat vergangen, seit Familie Abendschein heimgekehrt ist. Ihr Leben geht wieder seinen gewohnten Gang. „Geändert hat sich eigentlich nur, dass wir uns auf der Arbeit nicht mehr die Hand geben“, erzählt Martin Abendschein. Der Handschlag war früher Pflicht, nun ist er verboten. Er berichtet, dass sich Nachbarn besorgt erkundigten, wie es der Familie gehe. Sie sind gesund und fühlen sich sicher. Mit der Verwandtschaft in China stehen sie täglich in Kontakt. Dort scheinen die Neuinfektionen abzunehmen, die Zahlen in Wuhu bleiben stabil. Über die Medien wird die Anzahl der Neuerkrankungen nach wie vor verkündet. Über den Buschfunk der Stadt verbreitet sich dann sehr schnell, um wen es geht. Wuhu ist noch immer abgeriegelt. Rein dürfen nur noch Anwohner. An einen Besuch im Supermarkt oder Restaurant ist nicht zu denken. Beeindruckt hat die Familie die Hilfsbereitschaft der Chinesen. Sie schicken Masken und Schutzkleider, Desinfektionsmittel und Laborbrillen an die Ärzte der betroffenen Regionen.

Die Abendscheins haben den Ausbruch der Krankheit sowohl in China als auch in Deutschland erlebt. Hier gehen die Behörden lockerer mit dem Thema um, beobachten sie kritisch. „In China war die Kontrolle größer. Dafür auch der Schutz“, findet Martin Abendschein.