Kirchheim

Tarif ist teuer und kompliziert

Verkehr Um Entlastung auf den Straßen zu schaffen, müssen mehr Menschen auf die Öffentlichen umsteigen. Das ist aus mehreren Gründen für viele unattraktiv. Von Iris Häfner

Stau und kein Ende - so sieht es häufig nicht nur montagmorgens rund um Stuttgart aus. Foto: Jörg Bächle
Stau und kein Ende - so sieht es häufig nicht nur montagmorgens rund um Stuttgart aus. Foto: Jörg Bächle

Stauregion Stuttgart. Die Verkehrsnachrichten im Radio wollen an vielen Tagen kein Ende nehmen, es scheint kein Durchkommen rund um Stuttgart zu geben. Der Teckbote hat die Kandidaten für die Bundestagswahl zum Thema Verkehr befragt.

„Jeden Montag plane ich für die relativ kurze Strecke von Kirchheim zum Flughafen eine Stunde ein“, weiß Michael Hennrich, CDU-Bundestagsabgeordneter, wovon er spricht. Es sei kein Geheimnis, dass Stuttgart die belas­tetste Region Deutschlands in Sachen Stau ist. Er macht dafür den fehlenden Autobahn-Ringschluss verantwortlich und will technologieoffen bleiben, was die Autoantriebe anbelangt. Gleichwohl ist er überzeugt: „Elektromobilität wird künftig eine wesentlich wichtigere Rolle spielen.“ Das Fahrrad möchte er nicht aus den Augen verlieren, ebenso wenig den Schienenverkehr. Er ist ein absoluter Befürworter sowohl der Wendlinger Kurve als auch des Ringschlusses, um die Filder mit dem Neckartal im Nahverkehr auf der Schiene zu verbinden. „Ich gebe offen zu: Wir gehören zur Hochpreisregion beim ÖPNV. Preislich ist es nicht attraktiv und damit keine Konkurrenz zum Auto.“

Auch Nils Schmid (SPD) hält die Preise des VVS für teuer: „Vor allem die Tarifstruktur muss vereinfacht werden. Es gibt zu viele Zonen.“ Aus seiner Sicht muss der schienengebundene Nahverkehr ausgebaut werden - und der Ringschluss von den Fildern zum Neckar. Dem Verkehrskollaps könne nur über die Schiene entgegengewirkt werden. Aber auch das Rad sei nicht zu unterschätzen. Er nennt regionale Radwege. Im Fernverkehr muss die Bahn massiv ihr Netz ausbauen und vor allem Ersatzstrecken schaffen. „Im Gegensatz zur Straße gibt es keine Ausweichstrecken. Über lange Zeit wurde zu wenig investiert“, sagt er und kann sich einen Seitenhieb auf den politischen Gegner nicht verkneifen: „Es wurden falsche Schwerpunkte gelegt - aber das verwundert nicht bei jahrelangen CSU-Verkehrsministern. Die legen mehr Wert auf die Maut.“

„Ihr steht nicht im Stau, ihr seid der Stau“, diese Aufschrift zierte einst den Rucksack von Matthias Gastel (Grüne). Ihn wundert, dass im Berufsverkehr meist nur ein Mensch im Auto sitzt. Radschnellwege sind ein Teilaspekt, um die Straßen zu entlasten. Grob fahrlässig hat die Bahn aus seiner Sicht in Rastatt gehandelt. „Da sieht man, wie knapp die Kapazitäten bemessen sind. Güterzüge stauen sich bis Rotterdam zurück.“ Mehr Güter müssen auf die Schiene, damit die Endlos-Lkw-Kolonne auf der rechten Autobahnspur ein Ende hat. Ärgerlich aus baden-württembergischer Sicht sei, dass das Land Ausbaubedarf angemeldet hat, der Bund dies aber abgelehnt hat. Mehr Strecken müssten zweigleisig ausgebaut werden. „Auf der Straße wäre es undenkbar, zehn Minuten zu warten, um den Gegenverkehr passieren zu lassen“, vergleicht der Grünen-Politiker.

Heinrich Brinker (Die Linke) hat das Auto für sich abgeschafft. Man muss doch ohne klarkommen, dachte er sich. „Solange es die S-Bahn gibt, ist es schön und gut - wenn man vom Preis absieht. Der ist viel zu teuer, und das ist das Problem“, sagt er. Abendtermine in Nürtingen erweisen sich jedoch als umständlich: Ab 21 Uhr ist Ruftaxi angesagt. „Das ist kein Zustand, da muss man mehr anbieten, wenn der Nahverkehr mit dem Individualverkehr konkurrieren will.“ Von Ausflügen auf die Alb will er gar nicht reden. Rastatt wirft für ihn ein bezeichnendes Bild auf den Tunnelbau der Bahn. Bezüglich Stuttgart 21 und dem Gipsmergel im Untergrund der Landeshauptstadt wie in Staufen melden sich bei ihm große Sorgenfalten.

Für Renata Alt (FDP) muss die Taktung der S-Bahn optimiert werden. „Sie ist sehr beliebt und sollte alle 20 Minuten fahren.“ Zudem müsse das Tarifsystem geändert werden - es ist zu kompliziert, zu teuer und wenig flexibel. Die Bahn habe viele Investitionen verschlafen. Rastatt zeige, wie schnell es deswegen zum Stillstand kommen kann. „Das trifft auch die Wirtschaft. Dabei sollten mehr Güter auf die Schiene“, sagt sie. Wie in die Schienen, so müsse auch in die Straßen investiert werden. „Die Standspur muss bei Stau unbedingt freigegeben werden“, schlägt sie als vor. Vor allem in Baden-Württemberg müsse die Automobiltechnik weiterentwickelt werden - in neue Dieseltechnik, denn allein auf das E-Auto möchte sie nicht setzen. Sie fürchtet die Abhängigkeit, denn für die Zellen gebe es weltweit nur vier Hersteller, keiner davon in Europa.

Als sehr angespannt bezeichnet Vera Kosova (AfD) die Situation auf den Straßen. „Stuttgart hat halt keinen Ring“, sagt sie. Sie wünscht sich ein besseres Angebot von öffentlichen Verkehrsmitteln. Vor allem am Wochenende und an Feiertagen sollten Busse und Bahnen häufiger fahren. So könnten die Straßen entlastet werden. Auch sie prangert den zu teuren VVS-Tarif an. Als sehr unzuverlässig stuft die Bahn-Vielfahrerin dieses Verkehrsmittel ein, das sie im Grunde gerne nutzt. „Es gibt extrem viele Ausfälle aus technischen Gründen“, ist ihre Erfahrung. Sie wünscht sich die Digitalisierung, um online arbeiten zu können - und sei es nur, um ohne Funkloch zu telefonieren.