Kirchheim

Trinkwasser-Warnung schlägt Wellen

Alarm Noch ist unklar, ob durch eine falsch angeschlossene Leitung auf der ICE-Tunnelbaustelle in Kirchheim Keime ins Leitungswasser geraten sind. Eine Bäckerei ließ ihre Filialen am Donnerstag vorsichtshalber zu. Von Bianca Lütz-Holoch

Auf der Kirchheimer ICE-Tunnelbaustelle ist fälschlicherweise eine Abwasserleitung an eine Trinkwasserleitung angeschlossen worden. Foto: Carsten Riedl

Kirchheim. Große Verunsicherung in Kirchheim: Am Mittwochabend waren die Bewohner der südöstlichen Stadtteile darüber informiert worden, dass das Trinkwasser rund um die Gebiete Rauner und Bohnau verunreinigt sein könnte und abgekocht werden muss. Fest steht nun, dass auf der ICE-Tunnelbaustelle bei Kirchheim Leitungen falsch angeschlossen wurden. „Passiert ist das wohl schon vor einer Woche“, sagt Martin Zimmert, Geschäftsführer der Stadtwerke Kirchheim. Den Fehler bemerkten Mitarbeiter der Baufirma aber erst am Mittwochnachmittag, als aus der Frischwasserleitung Zellstoffpartikel kamen.


Am Donnerstag machten sich Vertreter der Stadtwerke, des Gesundheitsamts, der Polizei und der Baufirma vor Ort noch mal ein Bild. „Da ist Mitarbeitern der Baufirma ein Fehler passiert“, sagt Martin Zimmert. „Es wurden Regeln der Technik nicht eingehalten.“ So sind Abwasser- und Frischwasserleitungen eigentlich farblich eindeutig gekennzeichnet. Inwiefern dieser Fehler geahndet wird, hängt nun auch davon ab, was bei den Untersuchungen der Wasserproben herauskommt. „Wenn keine Keime ins Netz geraten sind und keiner zu Schaden gekommen ist, dann handelt es sich auch nicht um eine Straftat“, informiert Michael Schaal, Sprecher des Polizeipräsidiums Reutlingen.
„Die Ergebnisse der Wasserproben kommen erst im Laufe des Freitags“, sagt Martin Zimmert. Das Abkochgebot gilt noch mindestens bis Freitagabend. „Ob es dann aufgehoben wird, hängt davon ab, ob Keime gefunden werden oder nicht.“ Behoben ist der Anschlussfehler bereits, und die Desinfektionsmaßnahmen laufen auf Hochtouren. „Wir sind dabei, die Leitungen mit gechlortem Wasser zu spülen“, berichtet Wolf-Dieter Roser, Sprecher des Landratsamts in Esslingen. „Weil das Netz so weit verzweigt ist, dauert es aber eine Weile, bis alles komplett durchgespült ist.“

Sämtliche Filialen der Kirchheimer Bäckerei Kienzle blieben am Donnerstag wegen der möglichen Verunreinigung des Trinkwasser in einigen Kirchheimer Stadtgebieten geschlossen.   Foto: Carsten Riedl


Von der Vorsichtsmaßnahme betroffen sind zahlreiche Kirchheimer, die in den Gebieten Rauner und Bohnau leben. „Wir gehen von einer vierstelligen Zahl an Personen aus“, sagt Martin Zimmert. Entsprechend groß war auch die Aufregung bei den Bewohnern. „Bei unserem Bereitschaftsdienst-Mitarbeiter ist in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag der letzte Anruf um 2 Uhr nachts eingegangen, der nächste kam dann schon wieder um 4 Uhr morgens“, so Zimmert.


Auf Nummer sicher gehen wollte auch Peter Kienzle, Chef der gleichnamigen Kirchheimer Familien-Bäckerei. Weil seine Backstube in der Gaußstraße im Kirchheimer Gewerbegebiet Bohnau liegt und mit Trinkwasser aus dem Risiko-Bereich versorgt wird, entschied er sich kurzerhand dafür, seine Filialen am Donnerstag geschlossen zu lassen: „Die Sicherheit der Kunden geht vor“, betont er und fügt hinzu: „Brezeln und Brötchen, die mit eventuell verunreinigtem Wasser hergestellt wurden, hätte ich nicht guten Gewissens verkaufen können.“ Alle bereits vorbereiteten Backwaren hat der Bäckerei-Chef deshalb auch entsorgt. „Das Problem scheint ja schon länger zu bestehen, und es ist unklar, ob Keime im Wasser sind, und wenn ja, welche“, begründet er seine Entscheidung. Am Freitag öffnet er seine Filialen aber wieder. „Ich habe große Behälter gekauft und andernorts Trinkwasser in großen Mengen geholt. Damit backen wir jetzt“, sagt er. Bedauerlich findet er, dass er als Lebensmittelbetrieb nicht direkt von den Behörden informiert wurde, sondern lediglich privat von der Trinkwasser-Warnung erfahren hat. „Eine offizielle Info wäre aus meiner Sicht wünschenswert gewesen“, sagt er.
Bei anderen Einrichtungen im betroffenen Gebiet herrscht ebenfalls Ausnahmezustand. Zum Beispiel in der Kita Schneckenhäusle im Gewerbegebiet Bohnau, wo Kleinkinder im Alter von acht Wochen bis drei Jahre betreut werden. „Wir haben jedes Menge stilles Mineralwasser zum Trinken gekauft und sind schon den ganzen Tag dabei, Leitungswasser abzukochen“, sagt Claudia Einsele, Leiterin und Trägerin der Kita. „Selbst zum Händewaschen benutzen wir nur abgekochtes Wasser“, schildert sie ihre Vorsichtsmaßnahmen.
Für Aufregung sorgte die Nachricht zunächst auch bei den Bewohnern des Seniorenzentrums Sankt Hedwig in der Lichtensteinstraße. Pflegedienstleiterin Johanna Mack-Siebott aber bewahrt die Ruhe: „Wir halten uns an alle Empfehlungen der Stadt, aber dramatisieren wollen wir das Ganze nicht.“ So haben beispielsweise alle Bewohner eine Flasche mit stillem Wasser zum Zähneputzen bekommen. Geduscht wird nur, wenn es unbedingt nötig ist. „Und für die Wundversorgung nehmen wir ohnehin kein Leitungswasser“, so Johanna Mack-Siebott.

„Vorsorgliche Maßnahmen“

Dr. Albrecht Wiedenmann
Dr. Albrecht Wiedenmann

Interview Dr. Albrecht Wiedenmann, Sachgebietsleiter für Infektionsschutz im Gesundheitsamt Esslingen, spricht über Risiken und Maßnahmen nach dem Fehlanschluss der Abwasserleitung in Kirchheim.

Wie groß ist denn das Risiko, dass Keime ins Trinkwasser geraten sind?

Dr. Albrecht Wiedenmann: Wenn Keime durch den Fehlanschluss ins Trinkwasser geraten sind, dann durch eine Verkettung unglücklicher Umstände. Denn zum einen ist der Druck im Kirchheimer Trinkwassernetz höher als in der versehentlich angeschlossenen Abwasserleitung, zum anderen gibt es eine Rückschlagklappe. Wenn die Klappe funktioniert hat und es keine erheblichen Druckschwankungen gab, stehen die Chancen gut, dass kein Abwasser ins Ortsnetz eingedrungen ist. Außerdem ist das Ganze auf einer Baustelle außerhalb der Stadt passiert. Weil man aber nicht ausschließen kann, dass das Trinkwasser kontaminiert ist, haben wir die Vorsichtsmaßnahmen vorsorglich angeordnet.

Auf welche Krankheitserreger wird das Trinkwasser gerade untersucht?

Wiedenmann: Auf E-Coli-Bakterien, Enterokokken und Clostridien. Das sind so genannte Indikatoren. Sie zeigen an, ob Fäkalien ins Trinkwasser geraten sind. Sie werden im Trinkwasser überhaupt nicht toleriert. In Fäkalien können sich nämlich auch Krankheitserreger tummeln, etwa Noro-Viren, Enteroviren oder Salmonellen.

Sind die eventuellen Keime dann bis Freitag auch abgetötet?

Die Ursache ist ja bereits behoben. Jetzt muss nur das, was eventuell in die Leitungen gelangt ist, durch einwandfreies Wasser verdrängt werden. Zusätzlich wird Chlor als Desinfektionsmittel beigegeben. Es dauert aber ein bis zwei Tage, bis alle Leitungen erreicht sind. Die Proben wurden vor der Chlorung gezogen. So sehen wir, ob etwas ins Netz gelangt ist.   bil