Lokale Kultur

Vom Krankenbett ins „Land der Dämmerung“

Stefanie Hattenkofer begeisterte mit ihrem Figurentheater und einem Märchen von Astrid Lindgren

Kirchheim. Den legendären Veranstaltungsort „Club Bastion“ unter den einstigen Wehranlagen der Stadt kennenzulernen, ist schon an sich ein ungemein spannendes Erlebnis. Im Rahmen der Kirchheimer Kinder-

und Jugendtheaterwochen „Szenenwechsel“ konnten die Schülerinnen und Schüler von gleich fünf verschiedenen Klassen die Gelegenheit nutzen, diesen geheimnisvollen Ort kennenzulernen.

Da sie dort nicht nur in den Untergrund geführt wurden, sondern in der Tiefe des eindrucksvollen Gewölbekellers auch noch viel über das weithin unbekannte „Land der Dämmerung“ erfahren konnten, werden sie diesen Tag sicher nicht so schnell wieder vergessen.

Gespannt und erwartungsvoll warteten sie auf den Beginn der Vorführung des für Kinder ab einem Alter von fünf Jahren geeigneten Stücks „Im Land der Dämmerung“. Zu Gast war Stefanie Hattenkofer mit ihrem „Figurentheater München“, und im Gepäck hatte sie einen spannenden Stoff, der es zweifellos verdient, endlich noch ein bisschen bekannter zu werden. Immerhin stammt die Vorlage des Theaterstücks aus der Feder von Astrid Lindgren, die wohl völlig zu Recht als die „bekannteste Kinderbuchautorin der Welt“ gefeiert wird.

Während die legendäre „Pippi Langstrumpf“ und die nicht minder bekannten „Kinder aus Bullerbü“, „Michel aus Löneberga“ oder „Ronja Räubertochter“ längst auch international zu absoluten Klassikern der Kinderliteratur geworden sind, führt das „Land der Dämmerung“ als fiktives „Land, das es gar nicht gibt“ im Vergleich dazu tatsächlich noch immer ein gewisses Schattendasein.

Das war Grund genug für Stefanie Hattenkofer, alles zu tun, um auch dieser ungewöhnlichen Geschichte der mit unheimlich vielen wichtigen Preisen ausgezeichneten Astrid Lindgren mehr öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Auch den Organisatoren dieser Veranstaltung des Club Bastion kann daher nicht genug dafür gedankt werden, dieses für einfallsreiches und kreatives Puppenspieltheater gut geeignete Kleinod in München entdeckt und Stefanie Hattenkofer nach Kirchheim gebracht zu haben, wo wohl kein besserer Aufführungsort hätte gefunden werden können, als die Bastionsbühne mit ihrer unvergleichlichen Atmosphäre.

Erzählt wird in Astrid Lindgrens von der Rezeption etwas vernachlässigtem Märchen die eigentlich eher traurige Geschichte des kleinen „Göran Petterson vom Karlbergsweg“. Er leidet schon ein Jahr lang unter seinem kranken Bein und muss die ganze Zeit im Bett liegen bleiben.

Bis auf die „reale“ Anfangs- und Schlussszene im Krankenzimmer spielt sich aber alles im märchenhaften „Land der Dämmerung“ ab, und da geht es so fröhlich und ausgelassen zu, dass die Ausgangssituation schnell völlig in den Hintergrund tritt.

Genau in dem Moment, als Göran ganz besonders niedergeschlagen ist, weil er gehört hat, dass seine Eltern darüber sprachen, dass er vielleicht nie wieder wird gehen können, bekommt er überraschenden Besuch von einem gewissen Herrn Lilien­stängel. Der bringt den Jungen dann auch sofort auf ganz andere Gedanken, denn für ihn gelten offensichtlich andere Gesetze als für „normale“ Menschen.

Dieser Herr Lilienstengel marschiert nämlich einfach in Görans Krankenzimmer. Dass das Zimmer im dritten Stock liegt und das Fenster, durch das er hereinspaziert, eigentlich verschlossen ist, spielt dabei keine Rolle. Wie sich rasch herausstellt, spielt vieles „gar keine Rolle im Land der Dämmerung“, denn dort ist offensichtlich alles möglich.

Göran kann plötzlich nicht nur wieder ganz normal gehen, er kann auch Fußball spielen wie ein Profi und sogar mit Herrn Lilienstengel um die Wette fliegen, als wäre das das Einfachste der Welt. Außerdem kann er problemlos einen kompliziert zu steuernden Bagger bedienen und mit traumwandlerischer Sicherheit eine U-Bahn leiten – auch wenn er das zuvor nie gelernt oder geübt hat.

Ein Regal, ein Hocker, eine Stehlampe und zwei Tischfiguren genügten Stefanie Hattenkofer vollkommen, um das fantasiebegabte und begeistert mitgehende Publikum ins wundersame und zugleich auch so wunderbare „Land der Dämmerung“ zu entführen, in dem einfach alles möglich ist.

Ganz wichtig für den Erfolg der begeisternden Aufführung war natürlich auch die mitgebrachte Musik, die die Szenen passend untermalte, und die immer genau im richtigen Moment eingespielten Originalgeräusche. Sie sorgten beispielsweise dafür, dass die Gelenkarme der Lampe tatsächlich in der vorbildlich angeregten Fantasie des Publikums zu einem überzeugend gut funktionierenden Baggerarm wurden, dessen Schaufel der kippbare Lampenschirm war und Göran half, eine Grube für die U-Bahn auszuheben, mit der er dann schon kurze Zeit später durch die Stadt düsen konnte.

Mit einfachsten Mitteln sorgte Stefanie Hattenkofer immer wieder einfallsreich für überzeugendste Wirkung und stellte sicher, dass sich die Kinder ganz gebannt auf ihre minimalistische und doch beeindruckende, großartige Darstellung kon­zentrierten. Nach ihrem mit dem Abschluss Diplom-Figurenspielerin in Stuttgart absolvierten Studium an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst gründete sie 1998 das Solo-Figurentheater Stefanie Hattenkofer.

Sie arbeitete schon mit vielen verschiedenen Ensembles zusammen und wirkte unter anderem beim Bayerischen Nationaltheater, bei der Münchner Biennale für modernes Musiktheater und bei den Salzburger Festspielen mit. Gastspielreisen führten sie schon in die Schweiz und nach Österreich, nach Polen, Dänemark, Holland, Polen und sogar ins ferne China.

Mit ihrem Besuch in der Bastion hat Stefanie Hattenkofer jedenfalls Maßstäbe gesetzt und nicht nur das zauberhafte „Land der Dämmerung“ etwas bekannter gemacht, sondern zugleich auch sich und ihre hohe Kunst des Puppenspiels für künftige Einladungen zu den Kirchheimer Kinder- und Jugendtheatertagen „Szenenwechsel“ allerbestens empfohlen.