Kirchheim

Wenn Hygiene die Pädagogik behindert

Kitas Weniger Personal, mehr Aufwand: In Kirchheim versuchen Kindergartenbetreiber, möglichst viele Kinder zu betreuen – trotz schwieriger Bedingungen. Von Thomas Zapp

Wenn die Kleinen mit dem Spielen fertig sind, müssen die Steinchen desinfiziert werden. Das bedeutet zusätzliche Arbeit für die
Wenn die Kleinen mit dem Spielen fertig sind, müssen die Steinchen desinfiziert werden. Das bedeutet zusätzliche Arbeit für die Erzieherinnen. Foto: Carsten Riedl

Eltern, Erzieher und natürlich auch die Kinder: Alle haben momentan an den Einschränkungen der Kinderbetreuung durch die Coronakrise zu knabbern. Ob der „eingeschränkte Regelbetrieb“ in den Kitas, der seit gestern zumindest theoretisch möglich ist, eine Erleichterung bringt, ist momentan noch fraglich. „Wenn die Politik das Signal sendet, dass ein Regelbetrieb möglich wäre, ist das schwierig“, sagt Inge Starzmann, Fachbereichsleiterin für Elementarpädagogik und Familienbildung beim Christlichen Jugenddorfwerk Deutschland, die in Kirchheim die Kita im Doschler sowie drei weitere Kitas im CJD Württemberg verantwortet.

Die Praxis zeigt vor allem eins: Von einem Regelbetrieb ist man derzeit noch weit entfernt, und das wird sich auch in naher Zukunft so schnell nicht ändern. Die Leiterin der Kita im Doschler, Sabine Matausch, steht vor einem Organisationsungetüm: Nach den Kindern in der Notbetreuung muss sie so schnell wie möglich zunächst Kindern mit Förderbedarf eine zeitweise Betreuung ermöglichen und dann allen anderen Kindern, die nach und nach wieder in den Betrieb integriert werden sollen. „Das ist eine große Herausforderung und benötigt schlüssige Konzepte“, meint Inge Starzmann.

Können es jetzt mehr sein?

Denn es gibt limitierende Faktoren wie die Zahl der Räume und das Personal. „Wir haben auch Angehörige der Risikogruppen und gleichzeitig einen gestiegenen Betreuungsaufwand“, sagt sie. Dann darf es pro Raum nur eine Gruppe geben, die laut letztem Stand eigentlich auf fünf Kinder begrenzt ist. „Wenn es aber nun heißt, man darf bis maximal 50 Prozent der Gruppengröße betreuen, können es dann ab jetzt mehr sein?“, würde vermutlich nicht nur Sabine Matausch gerne wissen. Das ist nur eine von unzähligen Fragen. Schon jetzt haben die Hygiene-Auflagen die Erzieherinnen vor praktische Probleme gestellt. Beispiel Bringen und Abholen: „Eine Erzieherin muss die Kinder im Elterncafé abholen und wieder dort hinbringen. Die Eltern dürfen die Kita nicht betreten“, erklärt Sabine Matausch. Die Hygiene bestimmt auch den Alltagsbetrieb: Nach jedem Toilettengang muss die Klobrille desinfiziert werden, auch Spielzeuge werden regelmäßig gereinigt.

Eintrag ins Corona-Tagebuch

Ganz schwierig wird es beim Abstandhalten. Zwar werden die Spielangebote möglichst auf die Ecken in den Räumen verteilt, aber das ist schwer durchzuhalten. „Gerade wenn sich Kinder lange nicht gesehen haben, ist es ganz schnell passiert, dass sie sich umarmen und sogar küssen“, sagt Inge Starzmann. Für diese Fälle führen die Erzieherinnen in den vier Kitas, für die sie verantwortlich ist, mittlerweile ein Corona-Tagebuch. „Damit kann man im Falle einer Infektion die Wege zurückverfolgen“, sagt sie.

Gleichzeitig sollen nun möglichst viele Kinder wieder integriert werden. „Das ist ein Spagat“, sagt Sabine Matausch, in deren Kita 70 Kinder gehen, von denen 15 aktuell in der Notbetreuung sind. „55 bleiben übrig. Was kann ich denen jetzt anbieten?“, fragt sie sich. Wann und wie viele können kommen, wenn gleichzeitig eine Vermischung mit der Notbetreuung vermieden werden soll? Wie viele Erzieherinnen gibt es, wie viele Räume? Rechnen gehört in diesen Tagen zu ihren Hauptaufgaben. Und wie verbindlich sind die „Schutzhinweise“? „Mir fehlen da klare Rahmenbedingungen seitens der zuständigen Stellen“, bemängelt Sabine Matausch.

Trotz all der organisatorischen Schwierigkeiten sollen die Kinder ja auch pädagogisch betreut werden. Die Vorgaben laufen dem aber zum Teil zuwider. „Eigentlich fördert man gemeinsames Spiel und soziales Verhalten. Jetzt muss man es unterbinden, das ist schon hart“, findet die Leiterin des Kindergartens im Doschler. Sie steht gegenüber den Eltern unter gro­ßem Erwartungsdruck. Da hilft die Informationspolitik der Landesregierung nicht immer weiter. „Da wird manchmal etwas anderes vermittelt, als das, was umsetzbar ist“, sagt sie.

Das bemängelt auch der Kirchheimer André Schneider, dessen Tochter ebenfalls in den Kindergarten eines freien Trägers geht. Momentan hat er Kurzarbeit 0 und passt auf die Tochter und den älteren Sohn auf, seine Frau arbeitet in Vollzeit, weil es er Arbeitgeber verlangt. „Wenn die Kurzarbeit endet, weiß ich nicht, was ich machen soll“, sagt er. Was ihn besonders stört: „Das Land gibt die Verantwortung an die Stadt weiter, die Stadt an die Kita.“ Man wisse nicht, wo man stehe. „Die Biergärten machen auf, aber wo die Kinder betreut werden sollen, weiß man nicht“, findet er. „Ich habe Verständnis für die Probleme, aber ich würde gerne wissen, was getan wird, um sie zu lösen. Da fehlt mir die Transparenz.“ Diejenigen, bei denen der Unmut teilweise ankommt, haben Verständnis, auch wenn sie kurzfristig wenig Einfluss nehmen können. „Es ist schwierig, allen gerecht zu werden“, sagt Inge Starzmann.