Kirchheim

Wie Autos cleverer eingesetzt werden

Klimaschutz Im Kirchheimer Spitalkeller informiert der Mobilitätsexperte Klaus Amler über eine dringend notwendige Verkehrswende, künftige Mobilität und Forderungen an die Industrie. Von Andrea Barner

Klaus Amler präsentierte im Spitalkeller die Mobilitätsstudie der Baden-Württemberg-Stiftung. Foto: Günter Kahlert
Klaus Amler präsentierte im Spitalkeller die Mobilitätsstudie der Baden-Württemberg-Stiftung. Foto: Günter Kahlert

Geht es dem Auto an den Kragen? „Es ist kein Naturgesetz, dass Daimler ewig besteht“ wird der scheidende Konzernchef Dieter Zetsche zitiert. Auch die Automobilwirtschaft ist einem Wandel unterworfen und „wer nicht die richtigen Produkte anbietet, den erwischt’s“. Das sagt Klaus Amler. Er ist Projektleiter einer Mobilitätsstudie der Baden-Württemberg-Stiftung. Im Spitalkeller stellt er diese Studie vor und beleuchtet die untersuchten Szenarien. Nur ein einziges Modell taugt der Studie zufolge dazu, die im Pariser Klimaabkommen vereinbarten Emissionswerte zu garantieren: der radikal anmutende Wandel des Straßenverkehrs.

Die Europäische Union will die Emissionen bis 2030 um 42 Prozent senken gegenüber 1990. Da genügt es nicht, so Klaus Amler, dass nur die Verbrennungsmotoren gegen Elektromotoren ausgewechselt werden. Die Studie hat festgestellt, dass mittel- und langfristige Klimaziele nur erreicht werden können, wenn der Straßenverkehr gewaltig reduziert wird. Die Sachverständigen (darunter Fraunhofer-Institut, Daimler und Porsche) stellen die These auf: Jeder dritte Pkw, der 2030 in den Städten unterwegs ist, muss klimaneutral sein. Darüber hinaus fordert Amler: „Es muss auch ein Drittel weniger Kfz-Verkehr in der Stadt stattfinden und der öffentliche Nahverkehr dafür verdoppelt werden.“ Die Bürger müssen außerdem „umsteigen“ und 50 Prozent aller Wege zu Fuß oder mit dem Fahrrad erledigen!

Die Zuhörer im Spitalkeller sind schockiert. Wie soll das umgesetzt werden? Notfalls mit staatlicher Verordnung. „Die ganz freche Antwort heißt: Wir glauben ans Allgemeinwohl, an die Politik, und Sie zahlen ja auch Steuern.“ Amler wirft einen Blick über den Tellerrand: „City-Maut in London, wenn Sie mit dem Auto reinfahren.“ Oder: „In Zürich haben Sie doppelt so viele öffentliche Verkehrsmittel wie in Deutschland. In Wien zahlen Sie einmal im Jahr 365 Euro, damit können Sie alle Busse und Bahnen nutzen.“

Der Experte ist überzeugt, dass Deutschland Autos zu stark subventioniert, als Beispiel nennt er die relativ günstige Privatnutzung von Dienstfahrzeugen. Oder die ganz normalen Unterhaltungskosten der Verkehrsinfrastruktur: „Im Haushalt der Stadt Kirchheim steht, dass die Kommune jedes Jahr pro zugelassenem Auto über 2 000 Euro ausgibt für Parkplätze, Straßenreinigung, Ausbesserungsarbeiten durch den Bauhof und Beleuchtung.“

Dem „Ridesharing“ gehört die Zukunft, mutmaßt der Referent. Auf diesen Zug springt etwa die Bahn auf mit „ioki“, einer Art Shuttle-Service, der den Fahrgast nicht nur von Ort zu Ort, sondern bis vor die Haustür bringt. Gesteuert von einer Smartphone-App soll das System Fahrten bündeln und am besten gleich mehrere Fahrgäste mitnehmen, die in die gleiche Richtung wollen. Das Projekt befindet sich noch in der Testphase, zum Beispiel in Hamburg.

Auch im bayerischen Bad Birnbach geht das „Ridesharing“ demnächst los. „Daimler startet so einen Service in der zweiten Jahreshälfte sogar mit einem selbstfahrenden Fahrzeug“. Allerdings handelt es sich dabei um ein Pilotprojekt von Daimler und Bosch in San José. Die kalifornische Millionenstadt gehört zum Silicon Valley und verfügt flächendeckend über 5G-Mobilfunknetze, die das autonome Fahren möglich machen.

Auf der Veranstaltung im Rahmen der Kirchheimer Aktionstage „Neue Mobilitätskultur“, initiiert von der Agendagruppe Stadtmobil, spricht Klaus Amler vor rund 30 Interessierten bewusst nicht über „Verzicht“ aufs Heilix-Blechle, sondern von „Intelligenz und Effizienz“ bei nachhaltigen und klimaneutralen Verkehrskonzepten. „Autos werden durch Mehrfachnutzung cleverer eingesetzt“. Parkende Autos soll es im öffentlichen Raum so gut wie nicht mehr geben. Die Menschen besitzen dann, so vermutet Amler, insgesamt viel weniger Autos, in Kirchheim hat dann vielleicht nur jeder zweite Haushalt eins. „Und Daimler baut trotzdem noch Autos - vielleicht“.

Klaus Amlers Vortrag ist in manchen Schlussfolgerungen ganz schön drastisch. Er zeigt aber auch, dass sich in Sachen Mobilität von morgen schon einiges tut. „Und das muss es auch, wenn Deutschland seiner Verpflichtung aus dem Pariser Klimavertrag nachkommen will.“ meint der Experte.