Kirchheim

Wilde Ausbrüche treffen auf schwelgerische Gefühle

Musik Beim Kirchheimer Meisterkonzert zeigte das Quartett „Notos“ eine enorme Virtuosität und Bandbreite.

Kirchheim. Beim Notos-Klavierquartett ist der Name Programm: So wie Notos, der in der griechischen Mythologie verehrte Südwind, mal sanft und warm, dann wieder aufbrausend und stürmisch übers Land fegt, so vielschichtig sind die Interpretationen des 2007 in Berlin gegründeten Quartetts. Inzwischen hat sich „Notos“ in der Reihe der weltweit führenden Kammermusikensembles einen festen Platz erobert - völlig zu Recht, wie der exzellente Auftritt beim Kirchheimer Meisterkonzert des VHS-Kulturrings zeigte.

Mit Wolfgang Amadeus Mozarts „Klavierquartett Es-Dur“ eröffnete in der Stadthalle ein höchst charaktervolles Werk das Programm. Bei aller Leichtigkeit bestechen Komplexität, musikalischer Tiefgang und die bewundernswerte Vielfalt des Ausdrucks. Das Notos-Klavierquartett sorgte in der dynamisch bis in die Feinheiten hinein ausgearbeiteten Interpretation für klare Kontraste.

Teils auch herbere Kost

Sindri Lederer (Violine), Andrea Burger (Viola), Philip Graham (Violoncello) und die Pianistin Antonia Köster schienen sich blind zu verstehen, zeigten gestalterische Perfektion und fanden zur perfekten Balance. Danach gab es mit Bryce Dessners „El Chan“ etwas herbere Kost. Dessner, Gitarrist der New Yorker Band „The Nationalist“, schafft farbenreiche Klanglandschaften, die in einem Schmelztiegel klassische Einflüsse, Minimal Music und Elemente der Popkultur vermengen. Im „El Chan“ widmet sich Dessner einem mythologischen Wesen, das in der mexikanischen Stadt San Miguel leben soll. Geheimnisvoll wie diese Volkslegende ist auch Dessners Musik: Facettenreich, changierend zwischen beängstigender Ruhe und wilden Ausbrüchen. Das Notos-Klavierquartett zeigte sich dem gewachsen, bewegte sich zwischen hauchzarten Klängen, wildem Laufwerk in „Four Winds“ und aggressiven Aktionen in „Coyote“. Zerklüftete Intervallketten bestimmten ebenso die Szene wie atonale Stimmverflechtungen, und als im abschließenden „Mountain“ die ruhigen Glissandi verklungen waren, blieben die Zuhörer noch in der spannungsvollen Atmosphäre gefangen.

Nach der Pause entführte „Notos“ mit Robert Schumanns „Klavierquartett Es-Dur“ in eine romantische Klangwelt voll schwelgerischer Gefühle. Unerschöpfliche Vielfalt und eruptive Energie gingen eine geglückte Symbiose ein, wobei das Quartett jede feine Wendung auskostete. Nach der spannungsvollen, langsamen Einleitung explodierte im Allegro des Kopfsatzes die Virtuosität, brach sich vehementes Laufwerk Bahn. Doch das Ganze spielte sich auf einer höchst kultivierten Ebene ab, bei der die technische Beherrschung der Instrumente für die Ausführenden nie zum Selbstzweck wurde, sondern stets im Dienst der Interpretation stand. Dem rastlosen Scherzo folgte ein Andante mit herrlich ausgesungenen Kantilenen und geschmackvoller Phrasierung, ehe das Finale neben blitzendem Laufwerk feine strukturelle Verwebungen brachte. In der fulminanten Schlussstretta zog das Notos-Klavierquartett nochmals alle Register. Man hörte eine bestens austarierte Wiedergabe - beeindruckendes kammermusikalisches Spiel wie aus einem Guss.Rainer Kellmayer