Kirchheim

„Wir brauchen Antworten auf den Wandel“

Interview Die neue Chefin der Arbeitsagentur Göppingen rät Unternehmen, neue Wege bei der Azubi-Suche zu gehen. Die Arbeitslosigkeit soll weiter sinken. Von Henrik Sauer

Beschäftigte in vielen Branchen haben mit befristeten Verträgen zu kämpfen - im Handwerk ist das selten der Fall. Symbolbild: Je
Beschäftigte in vielen Branchen haben mit befristeten Verträgen zu kämpfen - im Handwerk ist das selten der Fall. Symbolbild: Jean-Luc Jacques

Thekla Schlör ist seit November die neue Leiterin der Agentur für Arbeit Göppingen mit den beiden Landkreisen Esslingen und Göppingen. Sie hat das Geschäft der Arbeitsvermittlung von der Pike auf gelernt, seit 1987 ist sie bei der Agentur für Arbeit tätig.

Frau Schlör, was hat Sie bewogen, von Schwäbisch Hall nach Göppingen zu wechseln?

Thekla Schlör: Zunächst mal bin ich neugierig auf Neues - das ist eine meiner grundsätzlichen Eigenschaften. Deswegen habe ich mir oft Aufgaben gesucht, wo ich neue Dinge erfahren und lernen, aber mich auch einbringen kann.

Wie unterscheiden sich die beiden Agenturbezirke Schwäbisch Hall-Tauberbischofsheim und Göppingen?

Schlör: Der Agenturbezirk Schwäbisch Hall-Tauberbischofsheim ist flächenmäßig fast viermal so groß wie der Göppinger Bezirk. Er hat vier Landkreise, aber nur etwa 70 Prozent der Einwohner. Dort sind die Strukturen ganz anders. Insbesondere der Landkreis Esslingen ist städtisch geprägt und orientiert sich sehr stark an den Themen des Wirtschaftsraums Stuttgart. Der Arbeitsmarkt hier ist sehr dynamisch, gleichzeitig haben sich aber auch manche Strukturen verfestigt. Hier sind über ein Viertel der Arbeitslosen ein Jahr und länger ohne Arbeit. Es ist eine Herausforderung, diese Langzeitarbeitslosigkeit abzubauen.

Was werden die kommenden Themen auf dem Arbeitsmarkt sein?

Wir haben in den nächsten Jahren zwei große Veränderungen zu bewältigen: Das ist zum einen das Thema digitale Arbeitswelt. Und die zweite ist der Strukturwandel, der durch die E-Mobilität zu erwarten ist. Wir müssen gemeinsam mit Unternehmen, mit Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften die Entwicklungen frühzeitig erkennen und gemeinsam Angebote entwickeln. Für Menschen, die in Beschäftigung sind, bedeutet das, dass sie sich qualifizieren müssen, um auf die Veränderungen vorbereitet zu sein. Es bedeutet aber auch, dass Menschen möglicherweise einen anderen Arbeitsplatz suchen müssen.

Viele Betriebe können ihre Lehrstellen nicht besetzen. Müssen sich die Unternehmen Sorgen machen?

Wir wissen seit vielen Jahren, dass die Schulabgänger weniger werden und ihre Zahl nicht reicht, um die Menschen zu ersetzen, die aus Altersgründen aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Das ist in ersten Linie der Grund dafür, dass die Lücke am Ausbildungsmarkt größer wird. Deshalb müssen beide Seiten ihr Verhalten ändern, um die Lücke zu schließen. Die Unternehmen müssen überlegen: Wenn es nicht mehr der Schulabgänger ist, wen kann ich sonst ausbilden? Kann ich in Teilzeit ausbilden? Nehme ich mal jemanden jenseits der 30 in eine Ausbildung? Wie gehe ich mit Menschen um, die vor ein paar Jahren aus Rumänien, Polen oder Tschechien ins Unternehmen gekommen sind, aber keinen Berufsabschluss haben? Auf der Seite der Arbeitnehmer gibt es in der Region viele, die zwar arbeiten, aber keinen Abschluss haben. Sie müssen sich fragen: Bin ich bereit, mit 35 noch mal auf die Schulbank zu gehen? Mit Blick auf die demografische Entwicklung wird es langfristig notwendig sein, über Zuwanderung die Bedarfe zu decken.

Immer mehr Arbeitsverhältnisse sind befristet - gilt diese Beobachtung nach wie vor?

Beim Thema Befristung gibt es eine Zweiteilung: Es gibt Bereiche mit einem hohen Anteil an befristeten Arbeitsverträgen, beispielsweise in der Zeitarbeit, in sozialen Berufen und auch im öffentlichen Dienst. Damit wird häufig die Vertretung bei Elternzeit, bei längerer Erkrankung eines Mitarbeiters oder auch die Realisierung kurzfristiger Projekte abgedeckt. In der Industrie, im Handwerk und im Handel ist Befristung weniger ein Thema. Wir hatten in den letzten fünf Jahren im Agenturbezirk einen Zuwachs von zehn Prozent bei den Beschäftigten. Dieses Plus ist in erster Linie in der Industrie und im Handwerk entstanden. Das sind Branchen, in denen Befristungen eine untergeordnete Rolle spielen. Neueinstellungen erfolgen weiterhin überwiegend unbefristet. Befristete Verträge sind häufig der Einstieg in den Job.

Familien- und Karriereplanung werden durch befristete Arbeitsverhältnisse nicht gerade begünstigt. Müsste sich hier aus Ihrer Sicht politisch etwas ändern?

Ich glaube, dass sich durch die Entwicklung am Arbeitsmarkt in den nächsten Jahren automatisch etwas ändern wird. Wenn ein Unternehmen nur einen befristeten Vertrag anbietet, ein anderer Arbeitgeber aber unbefristet, ist klar, wofür sich der Bewerber entscheidet. Die Agenda 2010 wird europaweit als der Schlüssel für die gute Entwicklung des Arbeitsmarkts in Deutschland definiert. Basis für das „German Jobwunder“ war die Flexibilisierung am Arbeitsmarkt und auch die Möglichkeit der Befristung. Wollen wir das zurückdrehen?

Wie läuft es mit der Integration von Flüchtlingen und Zuwanderern in den Arbeitsmarkt?

Immer besser. Wir haben an zwei Punkten lernen müssen. Das Erlernen der deutschen Sprache dauert länger, als wir ursprünglich gedacht hatten. Und wir haben den Unterschied in der Mentalität der Menschen aus anderen Kulturen im Hinblick auf unseren deutschen Arbeitsmarkt unterschätzt. In vielen arabischen Ländern gibt es keinen Achtstundentag wie bei uns. Daran müssen sich viele Menschen erst gewöhnen. Deswegen ist es wichtig, dass die Zeit der Sprachkurse und der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen dafür genutzt wird, geflüchtete Menschen dafür zu trainieren.

Zum Schluss hätte ich gerne noch eine Prognose von Ihnen: Wie hoch wird Ende 2018 die Arbeitslosenquote im Agenturbezirk sein?

Nach allem, was uns die Wirtschaftsforschungsinstitute und die Kammern in der Region sagen, steht die Konjunktur weiter auf Wachstumskurs. Die Nachfrage nach Arbeitskräften bleibt hoch. Deshalb glaube ich, dass wir noch mal einen kräftigen Rückgang bei der Arbeitslosigkeit haben werden. Ich gehe davon aus, dass wir bei der Quote im Durchschnitt um etwa 0,3 bis 0,4 Prozentpunkte unter dem Wert von 2016 (3,7 Prozent) liegen werden.

Foto: Henrik Sauer
Foto: Henrik Sauer