Lokale Kultur

Wohlabgestimmter Klangzauber

Überzeugende kammermusikalische Darbietung des Minguet Quartetts in Kirchheim

Kirchheim. Das 1988 gegründete, im In- und Ausland renommierte und überaus versierte Ensemble mit

Ulrich Isfort (erste Violine), Annette Reisinger (zweite Violine), Aroa Sorin (Viola) und Matthias Diener (Violoncello) benennt sich nach Pablo Minguet, einem spanischen Philosophen des 18. Jahrhunderts, dessen Zielsetzung darin bestand, ästhetische Bildung im Volk zu verbreiten. Diesen Anspruch erhob das Quartett quasi zu seinem Credo und künstlerischen Programm, etwa in der Hinsicht, dass es sich ausgiebig der modernen Quartettliteratur, zum Beispiel den Werken der Zeitgenossen Wolfgang Rihm, Jörg Widmann oder Peter Ruzicka, widmet. Für die Gesamteinspielung der Streichquartette des Letzteren wurde dem Quartett im Jahr 2010 der Echo-Klassik-Preis zuerkannt.

In Kirchheim nahm das Minguet Quartett zwei gewichtige, jeweils gut vierzigminütige „Klassiker“ der Kammermusik für Streicher von Franz Schubert (1797 – 1828) und Max Reger (1873 – 1916) ins Programm. Vor der Pause interpretierte das Ensemble Max Regers im Jahre 1911 kurz vor seiner Zeit als Leiter des Meininger Hoforchesters komponiertes und dem renommierten „Böhmischen Streichquartett“ gewidmetes, letztes Streichquartett fis-Moll, op. 121. Dabei handelt es sich kompositionstechnisch um ein Werk von höchstem Anspruch, dessen thematisches Material in den einzelnen Sätzen teilweise aufeinander bezogen ist, aber oft nur skizziert und nicht vertieft wird. Obwohl Reger selbst mit nuancierten Anweisungen zu Tempo und Gestaltung des Ausdrucks nichts dem Zufall überließ, stießen die ungewohnten, impressionistischen Klangfarben und „Schwebungen“, die oft chromatische Harmonik und der häufige Tonartwechsel bei zeitgenössischen Kritikern auf Unverständnis. Was von Reger als „fortschrittlich“ gedacht war, galt der Kritik oft als „verschwommen“ und „unausgereift“.

Schon im gewichtigen Kopfsatz Allegro espressivo zeigte sich das hohe musikalische Niveau des Minguet Quartetts und dessen Fähigkeit zu einem konzentrierten und zwischen den einzelnen Instrumenten fein abgestimmten Vortrag, bei dem die oft ungewöhnlichen Harmonien, die häufig wechselnden Tempi und Rhythmen des Werks in kultivierter Tongestaltung und geschmeidiger Dynamik gut bewältigt wurden. Kraftstrotzend musizierte Passagen im Fortissimo wechselten sich hier mit beseelt ätherischen Teilen im Pianissimo ab, wobei sensibel abphrasierte Übergänge besonders gefielen.

Es folgte ein kurzes, verspielt wirkendes Vivace mit Scherzo-Charakter. Furioses Laufwerk in der ersten Violine, präzise Pizzicati der tiefen Streicher, chromatisierende Passagen, gewollt ruppige, exakt rhythmisierte Einwürfe: alles in allem ein höchst präsenter und temperamentvoller Vortrag, der mit einem eindrucksvollen Doppelschlag der Schlussakkorde endete.

Eines der Glanzlichter des Konzertabends kam mit dem ausladenden, langsamen Satz Adagio, der in Form einer Fantasia mit schwermütig wehmutsvollem Melos in sanft mäandernden Linien komponiert ist. Dem Quartett gelang hier ein überaus anrührender, verinnerlichter und fast weihevoll zelebrierter Vortrag, wobei die sich glasklar und intonatorisch ungetrübt fortspinnenden Melodien der ersten Violine über dem Raunen der Begleitinstrumente besonders gefallen konnten.

Der Abschlusssatz Allegro con spirito bringt mit seinen kontrapunktischen Finessen ein weiteres Beispiel für das, was Reger selbst als „geistvollen“ Kompositionsstil bezeichnete. Der Satzbezeichnung entsprechend musizierte das Ensemble hier mit musikantischem Esprit und großer Fähigkeit zum klanglichen Ausdruck, was vom Publikum mit dankbarem Applaus quittiert wurde.

Nach der Pause erklang Schuberts 1824 komponiertes Streichquartett Nr. 14, d-Moll (D 810) „Der Tod und das Mädchen“. Das Werk gehört zu den späten Quartetten des Komponisten und folgt mit den Sätzen Allegro – Andante con moto – Scherzo (Allegro molto) – Presto dem viersätzigen Modell.

Bereits im einleitenden Allegro gelang dem Ensemble beim mehrfach wiederholten „Schicksalsmotiv“ und beim unruhig antreibenden Triolenrhythmus ein eindrucksvoll energischer Zugriff. Schroffe Einwürfe und feurige Emphase stehen hier im Kontrast zu zartesten Melismen und Umspielungen, bei denen sich immer wieder die erste Violine hervortat. Beeindruckend die explosive Schlussstretta, die – nochmals retardiert – in hauchzartem Pianissimo verklang.

Unumstrittener Höhepunkt des Vortrags nach der Pause war indessen das Andante con moto mit seinen fünf Variationen, das vom Quartett mit kaum zu überbietender Einfühlsamkeit dargeboten wurde. Schon das eingängige Thema, das Schuberts Kunstlied „Der Tod und das Mädchen“ nach einem Gedicht von Matthias Claudius entnommen ist, erklang überaus klangschön in fein nuancierter Dynamik, gefolgt von der ersten Variation mit dominierender erster Violine, mit gezupftem Bass und begleitendem Ostinato von zweiter Geige und Viola. Sehr schön musiziert war die hohe Cellomelodie der zweiten oder das einprägsame Rhythmusmotiv der dritten Variation, mit sich darüber aufschwingender Geigenmelodie und den gebrochenen Akkorden, die wie Peitschenhiebe ankamen. Fast heitere Gelöstheit in Dur dann in der vierten Variation, deren sanft schwingende, mit Trillern durchwirkte Triolen graziös musiziert wurden, bevor dann in der sich zunächst dramatisch zuspitzenden fünften Variation das Ganze sich in abgeklärter Ruhe auflöst.

Im Allegro molto wurden der kantige, widerspenstige Scherzo-Teil und das gesanglich liebliche, in homophonem Wohlklang ertönende Trio wie erratische Blöcke nebeneinander gestellt, bevor das galoppartige, abschließende Presto in der ruhelosen Getriebenheit seines Tarantella-Rhythmus das Publikum fast von den Sitzen riss: eine „wilde, verwegene Jagd“ auf Saiten mit einer abschließenden Temposteigerung, die an einen entfesselten Hornissenschwarm erinnerte.

Das Publikum beklatschte diesen Vortrag des Minguet Quartetts, der durch große musikantische Leidenschaft, Geschlossenheit und nahezu symbiotischen Gleichklang bestach, mit langem Beifall. Diesem nicht enden wollenden Applaus „ergaben“ sich die vier Akteure schließlich und spielten als kurze Zugabe noch ein nur wenige Takte umfassendes „Zitat“ von Peter Ruzicka, das einem Motiv aus Gustav Mahlers zehnter Sinfonie nachempfunden ist.