Kirchheim

Ziel ist weniger „Zwei-Klassen-Medizin“

Gesundheitspolitik Ein neues Gesetz soll Kassenpatienten schneller Termine bei Fachärzten verschaffen. Kann das klappen? Der „Weltgesundheitstag“ gibt Anlass zur Nachfrage. Von Irene Strifler

Ein vertrauensvolles Verhältnis zum Hausarzt ist viel wert, vor allem, wenn‘s mal um mehr als Halsweh geht. Symbolbild: Jean-Luc
Ein vertrauensvolles Verhältnis zum Hausarzt ist viel wert, vor allem, wenn‘s mal um mehr als Halsweh geht. Symbolbild: Jean-Luc Jacques

Neun Monate bis zum Termin beim Augenarzt, sechs Monate bis zur Echokardiografie, zu Deutsch Herzultraschall-Untersuchung - Geschichten über ellenlange Wartezeiten beim Facharztbesuch kennt jeder. Stolz verspricht jetzt die große Koalition Abhilfe: Ab Juli greift das „TSVG“. Hinter der sperrigen Abkürzung verbirgt sich das „Terminservice- und Versorgungsgesetz“. Wieder mal eine Luftblase? „Nein“, sagt der Kirchheimer CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Hennrich, der das Gesetz mit ausgehandelt hat. Zwar berge die Neuerung auch Nachteile, eines ist für den langjährigen Gesundheitspolitiker aber garantiert: „Für den Patienten bedeutet das Gesetz einen echten Fortschritt.“

Der wichtigste Mehrwert: Monatelange Wartezeiten sollen künftig der Vergangenheit angehören. Kassenpatienten bekommen fortan schneller einen medizinisch notwendigen Termin beim Facharzt. Das läuft unter anderem über Belohnung der Mediziner. Fachärzte, die neue Patienten behandeln, dürfen diese außerhalb der sogenannten „Budgetierung“ behandeln, erhalten also ein Einnahmeplus. Auch der vermittelnde Hausarzt wird für sein Engagement belohnt. Statt des Hausarztes kann auf dem Weg zum Facharzttermin außerdem eine rund um die Uhr erreichbare Terminservicestelle eingeschaltet werden.

Doch wie sollen die jetzt schon ausgelasteten Ärzte noch mehr Patienten behandeln können? Das Gesetz verpflichtet Praxisärzte künftig, mindestens 25 statt 20 Stunden pro Woche für gesetzlich Versicherte zur Verfügung zu stehen und Fachärzte, fünf Stunden Sprechzeit wöchentlich für Menschen ohne Termin anzubieten. Viel dürfte damit nicht gewonnen sein, denn heute schon arbeiten fast alle Mediziner deutlich mehr. Viele Ärzte sind extrem sauer über die politischen Neuerungen: Laut Dr. Norbert Metke, dem Vorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, erbost sie unter anderem, dass der Mangel an Terminen ihnen angelastet werde. Zudem missfällt den Selbstständigen das Hineinregieren in ihre Praxisorganisation. Sprechstunden ohne Termin beispielsweise wurden ja gerade deswegen abgeschafft, weil sie sich nicht bewährt haben. „Auch zum Friseur geht man heute nicht ohne Termin“, räumt auch Michael Hennrich ein. - Die große Koalition erfordert ganz offensichtlich Kompromisse.

Der Koalitionspartner SPD jubelt öffentlich vor allem darüber, dass Kassenpatienten bei Terminen jetzt nicht mehr das Nachsehen haben gegenüber privat Versicherten. Auch Michael Hennrich sieht eine große Chance darin, dass „das Gefühl der Zwei-Klassen-Gesellschaft wegfällt“.

Wie sieht es konkret vor Ort aus? Speziell in Baden-Württemberg hat man längst gute Erfahrungen mit der „hausarztzentrierten Versorgung“ gemacht, als deren Erfinderin die AOK gilt. Das Modell setzt darauf, dass der Hausarzt zum Lotsen wird. Er - und nur er - überweist Patienten bei Bedarf an Fachärzte und erhält wiederum kurze Berichte als Rückkopplung. So werden oft sinnlose (Mehrfach-)Untersuchungen vermieden und Weiterbehandlungen dank fundierter Infos erleichtert. Johannes Bauernfeind, Geschäftsführer der AOK-Bezirksdirektion Neckar-Fils, schätzt das System sehr, auf den Hausarzt als Lotsen zu setzen: „Gute hausärztliche Versorgung beinhaltet eine gezielte Steuerung, auch in die fachärztliche Versorgung hinein.“ Ungesteuerte Facharztbesuche, die die Praxen überschwemmen, würden so vermieden und neue Ressourcen beim Facharzt frei.

Die Kasse garantiert mit dem Hausarztprogramm jetzt schon den Zugang zum Facharzt bei medizinischer Notwendigkeit innerhalb von zwei Wochen. Das ist schneller als im neuen TSVG festgeschrieben. „Die Rede ist hier nicht von verschiebbaren Routineuntersuchungen“, legt Johannes Bauernfeind viel Wert auf die medizinische Dringlichkeit. Auch für die neuen Terminservicestellen dürfte das Problem darin bestehen, akute Gefahr zu erkennen. Der Arzt dagegen ist darin geschult.

Nachteile für die vertragliche Bindung an einen Arzt sehen weder Hennrich noch Bauernfeind. Vielmehr weisen sie auf die bessere Betreuung derjenigen Patienten hin, die am Hausarztmodell teilnehmen. Johannes Bauernfeind nennt als Beispiele das enge Vertrauensverhältnis oder ganz konkret einen lückenloseren Impfstatus. Die Kasse wiederum belohnt die Patienten mit Zusatzleistungen oder Zuzahlungsbefreiungen. Speziell im süddeutschen Raum sieht Johannes Bauernfeind - unabhängig von dem neuen Gesetz - die Versorgung der Patienten gut gelöst und verwahrt sich gegen Überreglementierung: „Die Akteure vor Ort müssen entscheiden, da kommt am meisten heraus.“

Am Sonntag ist Weltgesundheitstag

Mit dem Weltgesundheitstag am 7. April erinnert die WHO (Weltgesundheitsorganisation) an ihre Gründung 1948. Im Zentrum steht jedes Jahr ein neues, weltweit bedeutsames Gesundheitsthema, um dieses ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit zu rücken. Seit 1977 verfolgt die WHO zunehmende die Strategie „Gesundheit für alle“.

Flächendeckende Gesundheitsversorgung lautet das Motto des aktuellen Weltgesundheitstages. Die WHO weist darauf hin, dass über die Hälfte der Weltbevölkerung keinen umfassenden Zugang zu grundlegenden Gesundheitsdienstleistungen hat. Ziel ist, dass jeder die medizinische Versorgung erhält, die er braucht.

Umfassende Gesundheitsversorgung bietet Deutschland. Wer krank wird, findet meist medizinische Hilfe. Die Kosten werden in der Regel von der Versicherung übernommen. Hier sind eher explodierende Kosten und mangelnde Vernetzungen das Problem. Außerdem wird die Versorgung im ländlichen Raum zunehmend problematisch.ist