Die Stadthalle zeigt sich besser gefüllt als bei sonstigen Theateraufführungen. Offensichtlich interessiert so manchen, wie der faszinierende Roman „Die Vermessung der Welt“ auf einer Theaterbühne präsentiert wird.
Kehlmann erzählt in einer Mischung aus Fiktion und Realität von einem Treffen des Naturforschers Alexander von Humboldt mit dem Mathematiker Carl Friedrich Gauß und skizziert in Rückblicken die Biographien der beiden Genies. Gauß, aus einfachen Verhältnissen, wird durch den Herzog von Braunschweig gefördert und „vermisst“ als berühmter Mathematiker die Welt vom Schreibtisch aus. Der adlige Alexander wählt dazu Reisen nach Südamerika und unternimmt medizinische Selbstversuche.
Wie passt eine weltumspannende Handlung auf eine Theaterbühne? Die Badische Landesbühne greift auf eine Theaterfassung von 2008 zurück. Die Probleme der Raumwechsel und der Zeitsprünge werden durch ureigene Theatermittel bewältigt, durch Kostümwechsel, Projektionen, Figurentheater und Elemente des Schwarzen Theaters. Das durch geometrische Flächen gestaltete Bühnenbild spielt mit, mit einer großen Projektionsfläche und einem weiteren Raum im Raum. An den Seiten kommen gelegentlich aus Klappfenstern Persönlichkeiten der damaligen Zeit zu Wort, darunter niemand Geringerer als Goethe, allerdings mit hessischem Dialekt.
In diesem Rahmen wird nun in raschem Wechsel mit offenen Umbauten der Werdegang der beiden so verschiedenen Genies in Szene gesetzt. Dabei gibt es wie in der Romanvorlage keine Heldenverehrung, sondern neben den außergewöhnlichen wissenschaftlichen Leistungen werden auch, meist auf humorvolle Art, die menschlichen Schwächen gezeigt.
Gegensätzliche Charaktere
Alexander von Humboldt, der dieses Jahr seinen 250. Geburtstag feiert, ist gnadenlos grausam, wenn es um wissenschaftliche Experimente geht. Er wirft Hunde zum Fraß vor, um das Fressverhalten von Krokodilen zu studieren. Zudem zeigt er für Poesie, ganz im Gegensatz zu seinem Bruder Wilhelm, keinerlei Verständnis. Mit Frauen weiß er, anders als sein französischer Reisebegleiter Bonpland, ebenfalls nichts anzufangen. Gauß dagegen ist ein pessimistischer Eigenbrötler, unfähig zur Empathie, speziell seinem Sohn Eugen gegenüber. Zum Schluss müssen sie feststellen, dass der Tod schon zu Lebzeiten durch das Nachlassen der körperlichen und geistigen Kräfte einsetzt. Mit dem Anspruch, die Welt endgültig zu vermessen, haben sie sich „vermessen“. Trotzdem bedeuteten ihre Entdeckungen wichtige Schritte für Forschungen in der Zukunft.
Um ein episches Zeitgemälde im Sinne Kehlmanns mit sechs Spielern auf die Bühne zu bringen, bedarf es vieler Rollenwechsel, die blitzartig mit Kleiderwechsel und sparsamen Requisiten geschehen. Die kammerspielartigen Szenen um den häuslichen Gauß sind dabei unproblematischer als die weltläufigen von Humboldt, bei denen Projektionen und akustische Einspielungen kräftig mitmischen. Das überschreitet stellenweise die Aufnahmefähigkeit und das Verständnis des Publikums, speziell wenn man den Roman nicht kennt. So geht bei der langen, bewegungsintensiven Besteigung des Chimborazo der Text völlig verloren, unter kräftiger Mitwirkung der bekannt schlechten Akustik der Stadthalle.
Am Schluss demonstriert Eugen, der Sohn von Gauß, ein grundsätzliches Defizit der Gelehrten: Sie haben bei ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit nie die sozialen Probleme im Auge. Mit seinen revolutionären Umtrieben hat Eugen keinen Platz in Preußen.
Eugens Verhaftung bietet eine der ausgesprochen gelungenen Szenen wie anfangs auch die Schulszene mit dem kleinen Carl Friedrich Gauß. Insgesamt bietet die Badische Landesbühne mit großem Einsatz einen prallen, lebendigen und lehrreichen Theater- abend, inklusive Einführung und informativem Programmheft. Das wird vom Publikum auch entsprechend gewürdigt, mit einem von Bravorufen durchsetzten Beifall. Besonders wird die Erzählerin bedacht - zu Recht, hält sie an diesem Abend nicht nur den ganzen Laden zusammen, sondern schlüpft mit Charisma und Können noch in unterschiedliche Rollen.