Im Kampf gegen Gehirntumore setzen die Mediziner auf kombinierte Roboter- und Bestrahlungstechnik. Die Klinik am Eichert in Göppingen nutzt als erste in Baden-Württemberg das Cyberknife, dessen Behandlungsstrahlen auch bewegte Tumore präzise treffen. Die AOK Neckar-Fils hat mit dem Vorreiter einen Versorgungsvertrag abgeschlossen, der die Spezialbehandlung ohne Papierkrieg ermöglicht.
Roland Kurz
Kirchheim/Göppingen. Eine Stunde lang hat die Patientin auf dem Behandlungsplatz gelegen. Über ihr blauer Himmel, Schönwetterwolken und die Baumkrone einer Eiche - die Fotoserie lässt beinahe vergessen, dass hier nüchterne Röntgentechnik gegen böse Krankheiten kämpft. Als Begleitmusik hat sich die Frau Klassik gewünscht. Einen „schönen Walzer“ hat sie gehört. In dieser Zeit hat der Roboterarm das Cyberknife in viele Positionen rund um den Kopf gebracht, um an den Kreuzungspunkten eine hohe Strahlungsdosis zu erzielen. In der Regel setzt der Linearbeschleuniger etwa 180 Beams (Strahlenbündel) ein, um die Tumorzellen zu zerstören.
„Dort, wo man mit dem Messer nicht hingeht, weil es viel kaputt macht“, umschreibt Professor Gerd Becker, Chef der Radiologie der Alb-Fils-Kliniken Göppingen das Einsatzspektrum des Cyberknife. Das sind vor allem tief liegende Gehirntumore. Aber auch an der Lunge bietet diese Technik Vorteile, weil sie Bewegungen des Patienten oder des Tumors durch Röntgenaufnahmen kontinuierlich registriert. Der Behandlungsstrahl wird dann sofort korrigiert. Leber, Bauchspeicheldrüse, Wirbelsäule, Niere und Prostata sind weitere Einsatzfelder. Manchmal führt der schlechte Allgemeinzustand eines Patienten zur Entscheidung, das Cyberknife einzusetzen.
„Keine Narkose, minimal-invasiv, tut nicht weh“, zählt Radiochirurg Becker einige Vorteile auf. Als Nebenwirkung seien lediglich Schwindelgefühle während der Behandlung bekannt. Aber nicht nur das „schonendere Vorgehen“ spielt bei der Methodenwahl eine Rolle, das Cyber-knife sei auch kostengünstiger als eine Operation mit nachfolgender Reha, betont Becker. Häufig werden kombinierte Therapien gewählt, so verkleinert beispielsweise der Neurochirurg den Tumor, und das Cyberknife übernimmt die Bestrahlung an besonders gefährdeten Stellen.
Entscheidend für die Genauigkeit der Strahlenbündel ist die gute Vorbereitung. Mit einem auf das Cyber-knife abgestimmten Computertomografen wird die Größe des Tumors bestimmt. Kernspin-Tomograf und nuklearmedizinische Verfahren, die den Stoffwechsel des Tumors erfassen, ergänzen die Datensammlung. Auf dieser Basis legen die Radiochirurgen den Bestrahlungsplan fest. Die Genauigkeit des gesamten Systems - Untersuchung plus Behandlung - gibt der Göppinger Facharzt mit 0,5 Millimeter an. Gesundes Gewebe werde kaum belastet, weil die Strahlen dort ungebündelt verlaufen.
Der Einsatz des Cyberknife musste bisher für jeden Patienten einzeln beantragt werden. Das bedeutete mehrstündigen Papierkrieg und viele Telefonate, berichtet Becker. Jetzt halte ein Vertrag die Indikationen fest, bei denen die AOK den Einsatz des Cyberknife als sinnvoll erachte.
Der Vertrag bedeute auch für die AOK eine Vereinfachung, erklärt Johannes Bauernfeind, Geschäftsführer der AOK Neckar-Fils. Er erwarte nicht, dass es die Kasse sehr viel zusätzliches Geld koste. „Wenn es die einzige Methode ist, sprechen wir auch nicht über die Kosten.“
Gerd Becker spricht als Geschäftsführer des Göppinger Radio-Chirurgicums sehr wohl über Geld. Die Räume umzurüsten und das Gerät zu kaufen, habe einen zweistelligen Millionenbetrag verschlungen. „Ohne den AOK-Vertrag hätten wir keine Zukunft gehabt“, glaubt der Arzt. Die Zahl der Patienten ist begrenzt. Bauernfeind schätzt, dass auf die AOK Baden-Württemberg jährlich 100 bis 150 Fälle zukommen, für seinen Bezirk rechnet er mit zehn bis 15 Patienten. An der Technik hat Becker schon 1985 als Doktorand in Heidelberg mitgewirkt. Im Cyberknife seien viele Ideen gebündelt, viele Bauteile stammten aus Deutschland: der Roboterarm, der Linearbestrahler, die Steuersoftware. 2008 sei das Gerät zugelassen worden, inzwischen gebe es bundesweit neun Cyberknifes.