Kirchheim. Freitagabend, Club Bastion. Schon knapp eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn ist der Gewölbekeller der ehrwürdigen Bastion fast voll. Auf der Bühne vor all den dicht gedrängt stehenden und sitzenden Menschen stehen zwei Mikrofone einsam auf ihren Ständern – für regelmäßige Besucher der erste Hinweis, dass ihnen an diesem Abend kein gewöhnlicher Slam bevorsteht. Pünktlich um 20 Uhr betritt schließlich Andreas Kenner, Bastions-Urgestein und Poetry-Slam-Begleiter der ersten Stunde, unter tosendem Applaus die Bühne, um das Publikum zu begrüßen.
„Ihr braucht keine Angst haben, ich werde heute kein Gedicht vortragen“, scherzt er, und beginnt mit einem kurzen Rückblick auf die Anfänge des Dichterwettstreits in Kirchheim. Vor acht Jahren kam erstmals die Idee auf, heimische Dichter und Denker auftreten zu lassen. Das Prinzip hinter einem Poetry Slam ist denkbar einfach: Jeder, der sich dazu berufen fühlt, seine selbst geschriebenen Texte vor Publikum vorzutragen, darf daran teilnehmen – eingeschränkt lediglich durch ein Zeitlimit und das Verbot mitgebrachter Requisiten, wobei Textblätter zum Ablesen zugelassen sind. Beim Poetry Slam werden die Texte aber nicht einfach nur vorgelesen, sondern mit ganzem Körpereinsatz regelrecht aufgeführt. Die Geschichten werden gerappt, geflüstert, und manchmal auch geschrien, und das Publikum kürt den Gewinner des Wettbewerbs.
Hier im Gewölbekeller der Kirchheimer Bastion war es, wo auch Pierre Jarawan seine Poetry-Slam-Karriere begann und die ersten Gehversuche auf der Bühne machte. An seinen ersten Auftritt erinnert er sich noch gut: „Ich war damals so nervös, ich musste mir einen Hocker nehmen, weil meine Beine so gezittert haben“, erzählt er mit einem Schmunzeln. Mittlerweile moderiert er diesen Slam seit drei Jahren, und hat es mit seinen zahlreichen Erfolgen auf anderen Slams geschafft, den Kirchheimer Slam in der Szene bekannt zu machen. Dass Pierre es 2 012 schließlich auch noch gelang, deutschsprachiger Meister im Poetry Slam zu werden, wundert Andreas Kenner nur wenig: „Wenn man weiß, dass Reinhard Mey seinen ersten Auftritt außerhalb Berlins und Ottfried Fischer außerhalb von Bayern hatten, und auch Black Sabbath 1969 mit Ozzy Osbourne schon hier gewesen sind, ist es wenig erstaunlich, wenn auch ein Pierre Jarawan auf dieser Bühne seine Weltkarriere startet.“
Für den achten Geburtstag der Veranstaltung ließ man sich etwas Besonderes einfallen: Erstmals in der Geschichte der Kirchheimer Dichterschlacht gibt es an diesem Abend keinen Wettstreit zu sehen, sondern eine durchgängige Poetry-Slam-Show. Als weiteres Novum treten die Wortakrobaten nicht nur einzeln, sondern auch jeweils zu zweit im Team an. „Das wird jetzt viele, die noch nie zuvor auf einem Poetry Slam waren, vielleicht etwas verwirren“, erklärt Pierre Jarawan. „Ich habe mir damit aber gewissermaßen einen kleinen Wunsch erfüllt, den ich schon lange hatte.“ Jarawan hatte sämtliche Teams und Gäste des Abends persönlich ausgesucht und eingeladen, und zu seiner großen Freude folgten sie seinem Ruf.
Herausgekommen ist dabei nicht nur ein kleines „Best of“ dessen, was die deutschen Poetry-Slam-Bühnen derzeit zu bieten haben. Bis auf eine Poetin waren sämtliche Teilnehmer auch schon einmal einzeln zum Wortgefecht in der Bastion angetreten. Durch die Loslösung vom Wettbewerb und die Team-Auftritte gestaltet sich der Abend dann auch so abwechslungsreich wie selten: Team „Steffis Vorschlag“, bestehend aus Marvin Ruppert und Alex Burkhard, nimmt das Publikum mit auf einen witzigen Ausflug in deutsche Wartezimmer, wo sich allerlei skurrile Gestalten herumtreiben. Pauline Füg und Tobias Heyel, bekannt als Team „Großraumdichten“, verbindet seinen Vortrag mit elektronischer Musik und zeigt auf eindrucksvolle Weise, wie Worte und Musik sich verbinden und Geschichten zu Melodien werden können. Team „Neurosenstolz“, Björn Dunne und David Friedrich, wagen mit ihren Wortspielen einen Ausflug und einen Kurztrip in das Reich der faulen „Heimsofa-Oligarchen“, komplett mit Video Games und Anspielungen auf das deutsche Trash-TV. Hanz und Alexander Willrich von „Hanz N Roses“ erklären, warum sie „Trendopfer“ sind, während das Team „Allen Earnstyzz“ mit Temye Tesfu und Stefan Dörsing in seinen Texten ausgefeilte Rap- und Beatboxkenntnisse beweist. Besonders musikalisch zeigt sich das „Lumpenpack“, Indiana Jonas und Max Kennel, die dem Publikum erklären, was ein „Wingman“ ist und wie er einsamen Menschen dabei hilft, bei den Frauen ihrer Träume zu landen.
Pierre Jarawan lässt es sich nicht nehmen, mit dem „ABC der Träume“ auch einen seiner eigenen Texte zu präsentieren. Darin hält er ein rührendes Plädoyer auf die Bewahrung kindlicher Kreativität, bei dem neben Bibliotheken und Flüssen aus Marmelade auch Erinnerungen an seinen Vater und Batmans Brustwarzen eine Rolle spielen. Zur Auflockerung stellt er dem Publikum zudem auch ein kleines Rätsel, bei dem die Silben des ausufernden Wortes „Aufsitzrasenmäheredelstahlsicherheitsgurtbefestigungsschraubenherstellerfirma“ in Bilder verpackt wurden. Mit dem „Steilgeh-Tag“ vom Lumpenpack und tosendem Applaus endet schließlich der achte Geburtstag des Kirchheimer Poetry Slam.
Wer Lust bekommen hat, selbst einmal bei einem Poetry Slam aufzutreten oder hautnah dabei sein möchte, sollte sich den 21. März 2 014 vormerken – dann ist nämlich der nächste reguläre Dichterwettstreit.