Esslinger Landratsamt lässt umstrittenes Eiweiß-Brot derzeit genau analysieren
Täuschung oder Abnehmwunder?

Sie tragen Namen wie „Abend-Brot“, „Low Carb“-Brot, „Schlank-im-Schlaf-Brot“ oder „Gute-Nacht-Brötchen“ und sind seit einiger Zeit auch in etlichen Bäckereien im Kreis Esslingen erhältlich: Die Brote und Brötchen, die mehr Eiweiß und weniger Kohlenhydrate enthalten, sollen beim Abnehmen helfen. Doch was ist dran an diesem Werbeslogan?

Kreis Esslingen. Der Trend der „Low Carb“-Diät ist von den USA auch nach Deutschland geschwappt. Wer abnehmen will, sollte laut diesem Ernährungskonzept weniger Kohlenhydrate zu sich nehmen, dafür aber verstärkt auf eiweiß- und fetthaltige Lebensmittel zugreifen.

Seit einigen Monaten findet sich das „Low Carb“-Konzept auch in etlichen Bäckereien im Kreis Esslingen wieder – und zwar in Form von Broten und Brötchen, die es auch in der Bio-Version gibt und die angeblich beim Abnehmen helfen sollen. Dank diesen Eiweiß-Backwaren könne man abends guten Gewissens eine Scheibe Brot verzehren, denn die Pfunde purzeln dann sozusagen im Schlaf – so zumindest lautet die Werbestrategie. Doch ob sie stimmt, ist unter Experten umstritten.

Auch viele Menschen aus der Teck­region scheinen dem neuen Trend nicht so ganz zu trauen. Denn so manche Bäckereien in und um Kirchheim haben die „Low Carb“-Backwaren mangels Nachfrage mittlerweile schon wieder aus dem Sortiment genommen, wie der Teckbote erfahren hat. Wieder andere Bäckereien haben sich von Anfang an gar nicht auf die Produkte eingelassen – auch weil es sich bei den Broten und Brötchen häufig um Backmischungen handelt und weil sie Soja enthalten. Letzteres lehnen manche Bäcker generell ab, weil für den Anbau von Soja teilweise Regenwald gerodet wird.

Ungesund sind die Spezial-Brote und -Brötchen aber nicht, betont Anneliese Albrecht, Diplom-Ernährungswissenschaftlerin der AOK Neckar-Fils in Kirchheim. „Allerdings stellt sich die Frage: Machen sie Sinn?“ Für die Ernährungsberaterin liegt die Antwort auf der Hand: Nein, Abnehmwilligen bringe das Brot keinerlei Vorteile. Im Gegenteil: „Es hat relativ viele Kalorien.“

Anneliese Albrecht hat eines der „Low Carb“-Brote genauer unter die Lupe genommen und dabei festgestellt, dass 100 Gramm 274 Kilokalorien enthalten. Zum Vergleich: Mit 100 Gramm normalem Roggenvollkornbrot verleibt man sich 200 Kilokalorien ein. 100 Gramm des „Low Carb“-Brotes würden darüber hinaus 19,8 Gramm Eiweiß (Roggenvollkorn: sechs Gramm), 5,4 Gramm Kohlenhydrate (Roggenvollkorn: 36 Gramm), 12,3 Gramm Ballaststoffe (Roggenvollkorn: acht Gramm) und 16 Gramm Fett (Roggenvollkorn: zwei Gramm) enthalten.

Sowohl das Eiweiß als auch das Fett des „Low Carb“-Brotes sei pflanzlich, was die Ernährungsberaterin begrüßt. Allerdings verweist sie auf den hohen Fettanteil. „Insgesamt finde ich das Brot, das übrigens auch teurer ist als normales Brot, unnötig“, bilanziert Anneliese Albrecht. Abgesehen davon schmecke es ihr nicht, fügt sie hinzu. „Es ist zu trocken, obwohl so viel Fett drin ist.“

Die Ernährungsberaterin empfiehlt grundsätzlich, verstärkt auf versteckte Fette zu achten. „Man sollte bei allen Lebensmitteln genau nachlesen, was drin ist.“ Täuschen lassen dürfe man sich umgekehrt aber auch nicht von besonders fettarm deklarierten Lebensmitteln. Hier nennt Anneliese Albrecht das Beispiel Joghurt: Ist dieser fettarm, enthalte er dafür mehr Zucker. Vorsicht ist also auch hier geboten.

Es bleibt daher die Erkenntnis, dass Abnehmen ohne Mühen nicht funktioniert. Menschen, die ein paar Kilos weniger auf den Rippen haben wollen oder sollen, müssen auf die alt bewährte Methode zurückgreifen, sagt Anneliese Albrecht: Bewegung und weniger essen.

Auch Dr. Gerhard Stehle, Leiter des Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamts des Landkreises Esslingen, hält nicht viel von den „Low Carb“-Backwaren: „Es ist eine Art Marketing-Gag.“ Schlank im Schlaf werde man nicht, wenn man vor dem Zubettgehen Eiweiß-Brot esse. Wenn man mit solchen Slogans werbe, müsse man sie auch belegen können, gibt Stehle zu bedenken. „Die Aussage ist bisher aber in keinster Weise wissenschaftlich bewiesen.“

Die Lebensmittelkontrolleure des Landratsamts haben deshalb in den vergangenen Wochen im Kreis Esslingen mehrere Proben des Eiweiß-Brotes entnommen und diese an das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt Stuttgart weitergeleitet. Dort wird das Brot nun genau analysiert. Laut Dorothee Doludda, Laborleiterin im Bereich Backwaren des Stuttgarter Amtes, liegt bislang allerdings noch kein Ergebnis vor. Zu rechnen sei damit in den nächsten Wochen.

Kommen die Experten zu dem Schluss, dass unzulässigerweise „gesundheitsbezogen“ geworben wurde, wird das Landratsamt tätig: Die entsprechenden Bäckereien werden dann aufgefordert, Werbeslogans wie „Schlank im Schlaf“ zu unterlassen. Verkaufen dürfen die Geschäfte das Brot nach wie vor; es kommt nur darauf an, wie die Backwaren gekennzeichnet sind.

Letztendlich bleibt es jedem einzelnen Kunden selbst überlassen, ob er auf der „Low Carb“-Welle mitschwimmt oder nicht . . .