Angeklagter soll im Übergangswohnheim für Männer in Kirchheim Mitbewohner getötet haben
Tödlicher Stich in den Hals

Ein 53-Jähriger aus Kirchheim muss sich seit gestern vor dem Stuttgarter Landgericht wegen Totschlags verantworten. Der Angeklagte kann sich an die Details der Tat nicht mehr erinnern.

Kirchheim. Der 53-jährige Angeklagte wirkt unsicher. Er ist alkoholkrank, das gibt er zu. Und er kann sich an die Tat vom Nachmittag des 31. Oktober 2013 kaum erinnern. Er soll im Übergangswohnheim für Männer in der Nürtinger Straße in Kirchheim seinen Mitbewohner durch einen Messerstich in den Hals getötet haben.

Der Staatsanwalt nennt die Tat „vollendeter Totschlag“. Der Angeklagte habe sich an jenem Nachmittag mit dem Mitbewohner gestritten und dann mit einem Küchenmesser in den Hals des Opfers eingestochen. Die scharfe, 22 Zentimeter lange Klinge habe den linken Halsmuskel durchtrennt und die Luftröhre getroffen. Trotz sofortiger Hilfe durch einen Notarzt verstarb das Opfer später im Kirchheimer Krankenhaus an den schweren Verletzungen.

Hat der Beschuldigte absichtlich auf sein Gegenüber eingestochen, oder war es ein Unfall? Der 53-Jährige aus Kasachstan sagte den Richtern der ersten Großen Schwurgerichtskammer, dass es sich bei dem Opfer um seinen besten Freund gehandelt habe. Ein Landsmann, mit dem er seit zwei Jahren zusammen in einem Zimmer der Kirchheimer Wohnheims lebte und immer gut ausgekommen sei. Das Messer habe er ihm an den Hals gehalten, das gab er zu: „Zur Abschreckung, weil er endlich das Zimmer aufräumen sollte.“ Dann aber habe er sich plötzlich und ruckartig zur Seite gedreht, sodass die Messerklinge in seinen Hals ging. Eine Tötungsabsicht habe er nie gehabt, betonte der 53-Jährige.

An weitere Einzelheiten des damaligen Geschehens konnte sich der Angeklagte nicht mehr erinnern. Ob seine Version richtig ist, wollen die Richter des Landgerichts mit Zeugen und zwei Sachverständigen herausfinden. Inzwischen ist bereits klar, dass der 53-Jährige an jenem 31. Oktober stark unter Alkoholeinwirkung stand. Seit der Scheidung im Jahr 2012 von seiner zweiten Ehefrau, die er vor zwölf Jahren in Kirchheim geheiratet hatte, habe er dem Alkohol mehr und mehr zugesprochen. Zuvor hatte der deutschstämmige Kasache mit deutschem Pass als Lkw-Fahrer für verschiedene Speditionen gearbeitet und mit seiner Familie in einer Eigentumswohnung in Kirchheim gelebt. Nach der Trennung zog er aus. Durch den Alkohol verlor er seinen Lkw-Führerschein. Den medizinisch-psychologischen Test zur Wiedererlangung des Führerscheins bestand er nicht. Danach folgte die Arbeitslosigkeit

Am gestrigen ersten Verhandlungstag schilderte er den Richtern auch den Tagesablauf in dem Männerwohnheim: Morgens wird nach dem Aufstehen Wodka gekauft, der dann im Laufe des Tages getrunken werde.

Der Angeklagte war selbst einmal Opfer einer Gewalttat, bestätigte er. Im Januar 2008 hatte ihm ein Mit­bewohner in dem Wohnheim einen Messerstich in den Bauch verpasst und ihn dabei lebensgefährlich verletzt. Das Urteil für den Täter, einen gleichaltrigen russischen Spätaussiedler, lautete: neun Jahre Haft wegen versuchten Mordes (wir berichteten). Der Angeklagte war damals so schwer verletzt worden, dass ihn die Ärzte in ein künstliches Koma versetzten. Auch bei dieser Tat hatte bei Täter und Opfer der Alkohol eine große Rolle gespielt.

Dass sein jetziger Freund tot ist, durch einen Messerstich aus seiner Hand, das tue ihm sehr leid. Er habe den Mann sehr gemocht, für ihn eingekauft und viel Zeit mit ihm verbracht, ließ er durch seine Verteidigerin vortragen. Er selbst sei nicht in der Lage, darüber zu reden. Nachdem er den Mann blutüberströmt im Zimmer liegen sah, habe er noch gedacht, es sei nichts besonders Schlimmes geschehen, und legte sich zum Schlafen ins Bett. Er möchte irgendwann wieder einmal ein ganz normales Leben führen, „denn ich habe ja ein Enkelkind meines Sohnes“.

Der Prozess wird am Donnerstag, 8. Mai, fortgesetzt.