Schlierbach. „Ich war wie vom Donner gerührt und konnte es nicht glauben.“ Mario de Rosa, 44, beschreibt just den Moment, als er den Käfer erblickte. Der begeisterte Oldsmobile-Liebhaber traute seinen Augen nicht. Stand doch vor ihm ein schwarzer Volkswagen Käfer, Baujahr 1955, noch den ersten Motor unter der Haube, alles original, unverbaut und wie neu, auch das Faltdach. Kenner würden „1 A“ dazu sagen. Keine Frage, den wollte er besitzen. Musste er besitzen. Darauf hatte er lange gewartet.
„Ich konnte nicht anders als zuzuschlagen.“ Sprich, kaufen. Über den Preis schweigt sich Mario de Rosa freilich aus. „So‘n Fund ist wie ein Sechser im Lotto“, weiß der gebürtige Schlierbacher, dessen Vater einst aus Neapel ins Schwäbische auswanderte und ebenfalls einen VW-Käfer fuhr.
Wie so oft im Leben übernahm auch bei Mario de Rosa der Zufall die entscheidende Bühnenrolle. Bereits in jungen Jahren als Stift in Göppingen fiel ihm Ende der 1980er-Jahre immer wieder dieser schwarze Käfer im Straßenverkehr auf. Anfang der 90er-Jahre sprach der Oldie-Enthusiast mit einem Bekannten in Schlierbach, der das Fahrzeug sehr gut kannte. Kein Wunder. „Der Käfer gehört meiner Tante Marta“, sagte der Bekannte, machte Mario de Rosa aber wenig Hoffnung, das begehrte Stück jemals zu Gesicht, geschweige denn in die Garage zu bekommen. Dennoch verabschiedete sich der Oldtimer-Fan mit den Worten: „Denk‘ an mich, wenn‘s so weit ist!“
Mario de Rosa ging danach wieder seinem Tagesgeschäft nach und verlor den schwarzen Käfer aus den Augen. Plötzlich, im September 2011, klingelte das Telefon und am Apparat war Tante Martas Neffe. Seine Tante sei gestorben und er habe ihr Auto geerbt und denke daran, es zu verkaufen. Ob Mario de Rosa das Fahrzeug nicht anschauen und schätzen wolle, fragte der Neffe. Und ob der wollte.
Mit einem etwas mulmigen Gefühl fuhr der Schlierbacher zum Besichtigungstermin. Wie wird der Käfer wohl inzwischen aussehen? Wird er im Laufe der Jahre nicht total verbaut sein? Die verblüffende Antwort fand Mario de Rosa hinter der zweiflügeligen Garagentür von Tante Martas Fahrzeugunterkunft. Da stand ein Stück deutscher Automobilgeschichte in einem exorbitant guten Zustand. Lediglich die Auspuffanlage war neu und die alte „Nase“ auf der Motorenhaube hatte einer neuen, breiteren weichen müssen. Und natürlich waren die Winker durch Blinker ersetzt worden. Aber sonst war noch alles wie einst im Mai 1955. Der Originalmotor, das ovale Heckfenster, das Sonnendach, die typischen runden Stoßstangen mit den Hörnern, der kleine linke Außenspiegel, die zierlichen Scheibenwischer, das weiße Lenkrad mit dem Wolfsburger Wappen, das VW-Gaspedal mit der charakteristischen Rolle, ein blendend weißer „Himmel“ und saubere Sitzbezüge. Doch „das Schärfste“ hing an der Garagenwand: die Originalkennzeichen aus der amerikanischen Besatzungszone AW 34-5507.
„Mich hat fast der Schlag getroffen“, erinnert sich Mario de Rosa, dem in Tante Martas Garage insgeheim gleichzeitig drei Fragen durch den Kopf schossen: Wo nehm ich das Geld her? Wo stell ich ihn unter? Wie sag ich‘s meiner Frau?
Alle drei Fragen konnte er zur Zufriedenheit aller lösen. Der schwarze Käfer wechselte Besitzer und Garage.
Und nicht nur das: „Ich hab mit dem Auto auch dessen Geschichte dazu gekauft“, zeigt Mario de Rosa auf einen dicken Leitz-Ordner. Tante Marta hatte alle Bestellungen, Kaufverträge, Schreiben, Rechnungen, TÜV-Bescheinigungen und Quittungen mit der ihr eigenen Akribie abgeheftet. Natürlich fehlt auch die Betriebsanleitung für den Käfer, der im Mai 1955 produziert wurde, nicht. Angemeldet worden war er von der damals 34-jährigen Marta Haller am 3. Juni 1955, abgemeldet wurde er am 17. März 2008. Seine Besitzerin war zu jener Zeit 87 Jahre alt und ihr Oldsmobile hatte 98 326 Kilometer auf dem Buckel.
5 127 Deutsche Mark hatte Tante Marta 1955 für die schwarze „Volkswagen Limousine Export mit Sonnendach“ auf den Tisch der Göppinger Autohandels-Gesellschaft GAG blättern müssen. Dafür erhielt sie ein persönliches Dankschreiben des Generaldirektors der Volkswagen GmbH in Wolfsburg, der die „gnädige Frau“ in der „Gemeinschaft der Volkswagenfahrer“ begrüßte und mit „Ihr sehr ergebener Nordhoff“ unterschrieb.
Die gnädige Frau, die ihrem schwarzen Käferle 53 Jahre lang die Treue hielt, pflegte es auch entsprechend. Das geht aus den Rechnungen der GAG hervor. Und sie spendierte ihm noch im Juni ‘55 ein Blumenväschen fürs blecherne Armaturenbrett um vier Mark und 70 Pfennige. Die Nummerntafeln kosteten damals sechs Mark. Am 26. August 1957 musste sie nochmals in Schilder investieren. Aus den Besatzungskennzeichen wurden GP-Nummern, und fortan fuhr Tante Marta mit GP-Z 779 durch schwäbische Lande. Genau 40 Jahre später erhielt ihr Autokennzeichen ein H für historisch. Derzeit rollen im Kreis Göppingen übrigens 1 120 Kraftfahrzeuge mit H-Nummern über die Straßen (im Nachbarkreis Esslingen sind‘s 2 460). Und dazu gehört auch „Tante Marta“, wie Mario de Rosa seinen Käfer nennt.