Wie die wirtschaftliche Zukunft aussieht, und wie Unternehmen von den globalen Megatrends profitieren können, war das Hauptthema von Professor Thomas Bauernhansl beim Neujahrsempfang der IHK-Bezirkskammer. Der Maschinenbauingenieur leitet an der Universität Stuttgart das Institut für industrielle Fertigung sowie das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung.
Thomas Bauernhansl kritisierte, dass kaum ein Unternehmen in Deutschland den Mut habe, das Risiko einzugehen, die wissenschaftlichen Erkenntnisse in praktische Lösungen umzusetzen. „Wir spielen in der Grundlagenforschung Champions League, aber in der Verwertung von Innovationen Kreisklasse“, sagt er.
Vier globale Megatrends stellte der Referent vor, die die globalen Wertschöpfungsmodelle völlig verändern: Der ökologische Wandel zeigt sich im Kampf um knappere Ressourcen, der gesellschaftliche Wandel im Fachkräftemangel. Den wirtschaftlichen Wandel beschrieb er anhand der Verschiebung von Kräfteverhältnissen: China und die USA verfolgten von jeher sehr egoistische Ziele. Seinen Fokus richtete Bauernhansl jedoch auf den technologischen Wandel.
Die Region Stuttgart sei ein Paradebeispiel dafür, wie aus technologischem Wandel neue Wertschöpfung entsteht: Sie sei vor 150 Jahren das Armenhaus Europas gewesen - durch den starken Maschinenbau habe sie sich zur innovativsten Gegend Europas gewandelt.
Wie sich Plattformlösungen für die Automobilindustrie umsetzen lassen, zeige Volkswagen. Als einziger deutscher Hersteller entwickele der Konzern gerade ein Betriebssystem für seine Autos. „Volkswagen will vom Autohersteller zum Technologieunternehmen werden“, so Bauernhansl - so wolle man den Anteil an eigener Software von derzeit zehn Prozent bis 2025 auf 60 Prozent steigern. Aus dem Software-Wildwuchs von 70 Steuergeräten, auf denen Betriebssoftware von 200 unterschiedlichen Zulieferern laufe, soll eine Plattform werden: vw.os. Dafür hat man eine eigene Software-Einheit im Unternehmen gegründet und baut mit Microsoft an einer „Automotive Cloud“. An diesen Datenstandard müssten sich künftig alle Zulieferer anpassen.
„Tesla hat das schon“, so der Fraunhofer-IPA-Chef: „Das System wurde übrigens von Daimler entwickelt“. Aber der Hersteller, der damals noch mit acht Prozent an Tesla beteiligt war, habe dafür keine Verwendung gehabt und es deshalb an das E-Auto-Start-up weitergegeben. Man habe damals nicht verstanden, was man da in der Hand hatte - „Tesla hat es verstanden“, so Bauernhansl. Gerade wegen der Software, mit der sich in Windeseile Updates und neue Funktionen aufspielen ließen, sei Tesla so flexibel, „Tesla baut ein Smartphone auf Rädern - wir bauen Autos“, so Bauernhansls Urteil.
Die Zukunft liegt in Gentechnik
Großes Zukunftspotenzial sieht der Wissenschaftler in der Verknüpfung von Biologie und Technik. Ein Beispiel sei die Bionik, die Vorbilder aus der Natur nachbildet. Ein anderes: die biointegrierte Wertschöpfung, die mithilfe von Biotechnologie Produkte herstellt. So sei derzeit der „Impossible Burger“ der Hit. Die Frikadelle ist vegan, schmeckt aber wie Fleisch - weil sie unter anderem Hämoglobin enthält. Die tierischen Geschmacksträger stammen aber nicht aus Muskelfleisch von Rindern, sondern werden von gentechnisch veränderten Pilzen erzeugt. Beim Wort „gentechnisch“ geht ein Raunen durch den Saal mit über 500 Gästen. „Das ist ein typisch deutsches Volksgemurmel“, sagt Bauernhansl. Hierzulande sei man extrem skeptisch, dabei schlummere in der Technologie ein enormes Potenzial. So entwickle sein Institut zusammen mit einem Start-up aus Kalifornien einen neurotechnologischen Sensor, der mithilfe lebender Zellen Sprengstoff erschnüffeln kann.
Auch liege in den Arzneimitteln für neuartige Therapien (ATMP) ein enormes Potenzial - maßgeschneiderte Krebs- oder Diabetestherapien, gezüchtetes Gewebe. Die Grundlagenforschung sei da, was fehle seien Unternehmer, die das Risiko eingehen, daraus ein Geschäftsmodell zu machen. Denn die Kosten beispielsweise für die CAR-T-Zell-Krebszelltherapie sind enorm: 300 000 Euro pro Behandlung. Sie wirke zwar nur bei bestimmten Krebsarten, dafür lägen die Heilungschancen bei 80 Prozent. Bei der Therapie werden körpereigene Abwehrzellen auf die Krebszellen „umprogrammiert“. Dafür ist jedoch ein erheblicher Aufwand an Laborarbeit erforderlich.