Lokales
Textkritik 
tut not

Er gehört wie selbstverständlich zu Trauerfeiern und Gedenkveranstaltungen – vor allem in einem Umfeld, in dem die Menschen Uniformen tragen: „Der gute Kamerad“ von Ludwig Uhland. Nun ist dem schwäbischen Dichter aus Tübingen sicherlich kein Vorwurf zu machen für seinen Text. Er hat ihn in bester Absicht geschrieben, und man darf das Gedicht auch nicht aus dem Zusammenhang reißen, in dem es entstanden ist. In der napoleonischen Zeit galt der Krieg wohl noch eher als eine Art notwendiges Übel. Im übrigen gab er so manchem Soldaten die Gelegenheit, sich als tapferer Held auszuzeichnen. Nicht viel anders fiel wohl auch zunächst die zeitgenössische Betrachtung der beiden Weltkriege aus.

Heute allerdings kommt man nicht umhin, aus Uhlands Text so etwas wie Kriegsverherrlichung herauszulesen, ob es vor über 200 Jahren nun so gemeint war oder nicht. Einzig die zweite Strophe ließe sich aus heutiger Sicht wohl noch als sangbar erachten: Es geht dabei um die Kugel, die geflogen kommt und die jeden treffen kann – Freund, Feind, den Kameraden oder einen selbst. Der Soldatentod wird hier auch alles andere als beschönigend dargestellt, erst recht nicht als „süß und ehrenvoll“. Bei Uhland heißt es: „Ihn hat es weggerissen, / Er liegt mir vor den Füßen, / Als wär‘s ein Stück von mir.“

Richtig problematisch wird allerdings die dritte Strophe: „Will mir die Hand noch reichen, / Dieweil ich eben lad. / Kann dir die Hand nicht geben, / Bleib du im ew‘gen Leben / Mein guter Kamerad.“ Auch das ist sicher gut gemeint von Uhland. Aber gerade die Unmenschlichkeit angesichts des Todes steht für die gesamte Unmenschlichkeit jeder kriegerischen Auseinandersetzung. Natürlich muss der Soldat im Krieg nachladen und weiterkämpfen, sonst trifft ihn selbst die nächste Kugel. Und natürlich gab es in allen Kriegen bewegende menschliche Schicksale – Geschichten, wie sich Kameraden eben doch unter Lebensgefahr um Verletzte und um Sterbende gekümmert haben.

Dennoch wäre es wichtig, die fatale Logik des steten Nachladens zu hinterfragen. Vielleicht gibt es ja einmal eine neue Erinnerungs- und Gedenkkultur, in der Uhlands „guter Kamerad“ entsprechend kritisch gewürdigt wird. Ein Vorteil immerhin zeigte sich beim Blick ins Programm der vier Kirchheimer Veranstaltungen zum gestrigen Volkstrauertag: Überall haben die Musikvereine das Lied gespielt – ohne Text.ANDREAS VOLZ