Ein Sonntagnachmittag in Albanien. Die Fußballer von Vllaznia Shkoder sind auf der Heimfahrt vom 1:0-Sieg im Erstligaspiel bei Bylis Ballsh. An der Stadtgrenze wird der Mannschaftsbus von Fans in 500 Autos empfangen und mit Hupkonzerten durch die 135 000-Einwohner-Stadt Shkodra bis zum Stadion eskortiert, wo das Team enthusiastisch gefeiert wird. „So etwas habe ich noch nie erlebt. Diese Euphorie, einfach überwältigend“, schlackert Thomas Brdaric noch immer mit den Ohren, wenn er daran denkt. So etwas ist selbst für ihn, den Weitgereisten in Sachen Fußball, ein unvergessliches Erlebnis.
Thomas Brdaric: Geboren in Nürtingen, aufgewachsen in Neuffen, als 18-Jähriger erste Ligatore für den VfL Kirchheim (1992/93). Danach zehn verschiedene Stationen als Spieler und weitere zehn als Trainer. Seit August 2020 der 21. Job beim neunmaligen albanischen Meister, der jedoch seit 2011 nie besser platziert war als Tabellensechster und in der vergangenen Saison fast abgestiegen wäre. Nur über ein Relegationsspiel hatte der Klub aus dem Norden Albaniens seinen Platz in der höchsten Spielklasse gesichert.
Nun hat Brdaric Vllaznia Shkoder aus dem Dornröschenschlaf geweckt. 24 Spiele, 42 Punkte, aktueller Tabellenvierter in der „Kategoria Superiore“ mit nur zwei Zählern Rückstand auf die Spitze. „Wir gehören im Moment zu den Aushängeschildern der Liga. Aber es ist ein harter Weg, diesen Zustand bis zum Saisonende zu halten“, ist sich der Erfolgstrainer bewusst. Gelingt es, wäre das der erste Meistertitel für den Traditionsklub KF Vllaznia seit 20 Jahren - und der 46-jährige Schwabe mit kroatischer Abstammung endgültig der Held von Shkodra.
Defensiv hui, offensiv pfui
Sein fußballerisches Erfolgsrezept ist eine Dreierkette im 3-5-2-System. Die Mannschaft hat erst 15 Gegentore zugelassen, was einem Schnitt von lediglich 0,65 Treffern pro Spiel entspricht. Dafür geizt die Mannschaft extrem mit Toren. Diessdfes Manko abzustellen ist für den einst wilden Stürmer mit der 13 auf dem Rücken, der 54 Treffer in 204 Bundesligaspielen erzielt hat, ein zentraler Ansatzpunkt seiner täglichen Trainingsarbeit.
Mit dabei sein 20-jähriger Sohn Tim. Ein Innenverteidiger mit Gardemaß von 1,95 Meter. Der Vater hat ihn Anfang des Jahres vom rheinischen Oberligisten 1. FC Monheim als Perspektivspieler für Vllaznia verpflichtet. Der jüngere Bruder Lance (17) blieb zu Hause bei der Mutter und spielt lieber Golf. In Langenfeld am Rhein besitzt die Familie das „Fährhaus“. Ohne ihren „Fährmann“ ist das Ausflugslokal verpachtet.
„Ich möchte Tim an das Profi-Geschäft heranführen. Im Training blende ich komplett aus, dass er mein Sohn ist“, betont der Papa. Gemeinsam bewohnen sie in Shkodra ein Appartement mitten in der Stadt. Brdaric: „Abends sitzen wir zusammen auf der Couch und schauen uns internationalen Fußball an, am liebsten natürlich die Bundesliga.“ Beider Vertrag läuft zunächst bis Ende Juni - wer weiß, vielleicht wird ihr Job auf der Balkanhalbinsel zum Sprungbrett für höhere Aufgaben.