Konflikt zwischen Jägern und Naturschutz – Gütliche Schadensregulierung in Bissingen
Tierischer Ärger mit Wildschweinen

Wildschweinschäden in Streuobstwiesen wie in Bissingen machen deutlich, wie widersprüchlich die Schadensregulierung gesehen wird. Während Gerichte die Schuld bei den Obstbauern suchen, weil sie ihre „Obstgärten“ nicht eingezäunt haben, stehen einer solchen Einfriedung Baurecht und Naturschutzrecht entgegen.

Bissingen. Die Grasnarbe um die Obstbäume ist in weitem Bogen umgepflügt. Brauner Boden glänzt im Regen. Die Baumwiesen auf Bis­sin­ger Gemarkung in der Lichse, am Nabel, am Hahnenkamm und am Teckhang erinnern an Bilder aus dem ehemaligen Truppenübungsplatz Münsingen. Doch es waren keine gefechtsbereiten Soldaten, die das Streuobstparadies verteidigen wollten, sondern vielmehr hungrige Schwarzröcke, die Bissinger Streuobstwiesenbesitzer und Pferdeweidenpächter in Rage brachten. So war es nicht verwunderlich, dass bei Bürgermeister Marcel Musolf das Telefon klingelte.

Der Bissinger Verwaltungschef griff das strittige Thema frühzeitig auf und lud die Jagdpächter der drei Bissinger Jagdbögen zu einem Gespräch ein. „Wir sind froh, mit den Jägern einen Konsens gefunden zu haben“, verwies Marcel Musolf auf den nach der vierstündigen Unterredung ausgehandelten Kompromiss: Die Gemeinde mietet einen Wiesenhobel, der aus dem Topf der Jagdpacht bezahlt wird, und die Waidmänner stiften den Grassamen dazu, ohne eine Rechtspflicht anzuerkennen. Im Frühjahr soll dann nach einer Gewannbegehung die Renaturierungsaktion auf den Baumwiesen vonstatten gehen.

Gütliche Einigungen bei Wildschäden waren auch schon in der Vergangenheit in der Seegemeinde eher die Regel denn die Ausnahme. „Wir hatten allerdings in den letzten Jahrzehnten keine solchen Probleme wie in den vergangenen Monaten“, sagt Bürgermeister Musolf, der weiß, dass die zunehmende Zahl der Schwarzkittel landesweit ein Thema ist, und der sich deshalb vom Gesetzgeber eine eindeutige Regulierung der Wildschweinschäden in Streuobstwiesen wünscht.

Für den Pressesprecher des Landesjagdverbands Baden-Württemberg, Ulrich Baade, ist die Sache klar. Er verweist auf die Gerichtsurteile ­aus Balingen und Schorndorf, die besagen, dass ein Streuobstwiesenbesitzer keinen Anspruch auf Wildschadensersatz hat. „Der Wildschaden wird ihm gemäß Paragraf 32 Absatz 2 Bundesjagdgesetz nicht ersetzt, da es sich bei dem geschädigten Grundstück um einen Obstgarten im Sinne dieser Vorschrift handelt und der Kläger unstreitig die erforderlichen Schutzeinrichtungen nicht getroffen hat“, begründet das Amtsgericht Schorndorf sein Urteil. Im Klartext: Das Gericht bewertet Streuobstwiesen wie Obstgärten, die durch einen Zaun zu schützen sind.

Das sieht das Kreisjagdamt des Landratsamtes Reutlingen anders. Bei Streuobstwiesen handelt es sich einem Schreiben an die Bürgermeisterämter des Nachbarkreises zufolge nicht um Obstgärten, wie sie zum Beispiel in speziellen Obstanbaugebieten, etwa am Bodensee, anzutreffen sind. Dabei verweist das Kreisjagdamt auf die obere Jagdbehörde beim Regierungspräsidium Tübingen und die höhere Jagdbehörde beim Landwirtschaftsministerium, die beide die Auffassung des Landratsamts Reutlingen teilen.

Eine Einzäunung der Streuobstwiesen, wie gefordert, sei nämlich bau- und naturschutzrechtlich unzulässig (siehe „Gesetze gegen eine Einzäunung von Streuobstwiesen“). Deshalb könne sie nicht als „übliche“ Schutzvorrichtung im Sinne des Bundesjagdgesetzes angesehen werden. Und, „dass keine wilddichten Zäune errichtet werden dürfen, kann nicht zum Nachteil des Grundstückseigentümers ausgelegt werden“, so das Kreisjagdamt Reutlingen. Die Pflicht des Jagdpächters, den Schaden zu regulieren, sei „unbenommen des Urteils des Amtsgerichts Schorndorf“ weiterhin gegeben.

Der Landesjagdverband fordert eine sachgerechte Lösung und denkt dabei an eine Wildschadensausgleichskasse wie in Sankt Johann, bei der Jäger, Jagdgenossen und Bewirtschafter im Boot sitzen. „Wir möchten weg davon, dass bei Wildschäden einfach nur der Jagdpächter zur Kasse gebeten wird“, sagt Ulrich Baade. Trotz der sach- und waidgerechten Jagd seien die Schäden durch Wildtiere enorm angestiegen. „Die Jäger tun ohnehin mehr, als man von ihnen verlangen kann. Und dann kommen auch noch hohe Schadensersatzforderungen auf sie zu“, weiß der Pressesprecher aus Erfahrung, was den Waidmännern ihr Handwerk vergällt. So hofft Ulrich Baade auf eine entsprechende Aussage über die Wildschadensregulierung in der Novellierung des Landesjagdgesetzes.

Nur zu gut kennt der Kirchheimer Kreisjägermeister Bernd Budde das Problem. „Aufgrund der hohen Schadensforderungen können die Jagden oft gar nicht mehr verpachtet werden.“ Den Grund dafür macht der Kreisjägermeister anhand einer einfachen Rechnung deutlich: „Bezahlt ein Jagdpächter 3 000 Euro Pacht im Jahr, dann geht seine Rechnung, wenn er Glück hat, durch Wilderlöse null auf null auf. Kommen jetzt allerdings Forderungen durch Wildschäden in Höhe von 10 000 bis 15 000 Euro pro Jahr auf ihn zu, dann lässt sich dies betriebswirtschaftlich nicht mehr darstellen.“

Ob die aktuelle Novellierung des Landesjagdgesetzes Klarheit schaffen wird, bleibt abzuwarten.