Podiumsdiskussion über den Spagat zwischen Geld und Ethik in der Klinik Kirchheim
„Uns zerreißt es am Patientenbett“

Wie schaffen es Mediziner und Pflegekräfte, mit immer weniger Zeit und Geld kranke Menschen so zu versorgen, dass ihre Würde gewahrt bleibt? Darum ging es am Mittwochabend bei einer Podiumsdiskussion im Festsaal der Klinik Kirchheim.

Kirchheim. Die Podiumsdiskussion, die mit dem Titel „Knappe Mittel –falsche Werte. Wohin bewegt sich das Gesundheitssystem?“ überschrieben war, war gleichzeitig der Start für die klinische Ethikberatung in den Esslinger Kreiskliniken. Dr. Günter Renz von der evangelischen Akademie Bad Boll, der die Diskussion später moderieren sollte, lobte die Einführung einer solchen Beratung. Alle Krankenhausmitarbeiter hätten daran großes Interesse, am größten sei es aber bei den Pflegenden an der Basis.

Renz vertrat in seinem Eingangsvortrag die These, dass es nicht gerechtfertigt sei, von einer Kostenexplosion im Gesundheitssystem zu sprechen. Die Ausgaben hätten sich zwar über die Jahre kontinuierlich gesteigert, allerdings nur maßvoll. In anderen Industrienationen sei das ähnlich. „Jede Gesellschaft, die wohlhabend ist, ist bereit, mehr Geld für Gesundheit auszugeben“, sagte der Studienleiter, der in Bad Boll unter anderem die Themenbereiche Gesundheitspolitik und Medizinethik betreut. Allerdings würden die Mittel seiner Meinung nach falsch verteilt. Beispielsweise werde zu viel Geld für teure Medikamente ausgegeben, anstatt es in Behandlungen zu investieren, die erwiesenermaßen wirkten. Als Beispiel nannte Renz die psychosoziale Betreuung.

Bei der Podiumsdiskussion lagen die Positionen weit auseinander. Franz Winkler, Geschäftsführer der Kreiskliniken Esslingen, warf der Gesundheitspolitik vor, es sich zu einfach zu machen, wenn sie sich immer nur auf den Kostenrahmen konzentriere. „Wir müssen uns eher fragen: Woher soll künftig noch das Personal kommen, das die Patienten betreut?“, sagte er.

Winkler kritisierte außerdem, dass im Gesundheitsbereich Vertrauen zunehmend durch Kontrolle ersetzt werde. Er nannte die große Zahl der Prüfärzte, die beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen angestellt seien. Das sei nur ein Beispiel dafür, wie mit dem „knappen Gut Geld“ umgegangen werde. Ein Pfleger aus dem Publikum, der vielen seiner zahlreich erschienenen Kollegen aus dem Herzen sprach, stimmte ihm zu und nannte im Laufe der späteren Diskussion einen weiteren Kontrollmechanismus: „Was nicht dokumentiert wird, wird nicht bezahlt“.

Thomas Schneider von der AOK verteidigte das Vorgehen der Politik. „Bei den hochkomplexen Problemen, die wir im Gesundheitssektor haben, ist es normal, dass man den Druck in den Kessel erhöht“, sagte der stellvertretende Geschäftsführer der AOK Neckar-Fils. Wenn die Politik allerdings nicht ordnend eingreifen würde, wären die Kosten deutlich höher. Thomas Schneider betonte, dass man die Probleme am ehesten vor Ort lösen könne. „Als AOK sind wir damit regional gut aufgestellt.“

Dem stimmte Thorsten Lukaschewski, Intensivmediziner und ärztlicher Direktor der Klinik Kirchheim, prinzipiell zu. „Aber indem wir immer alles vor Ort lösen, machen wir es der Politik leicht, nichts zu tun“, kritisierte er. Seit 20 Jahren gelinge es nicht, das Gesundheitssystem grundsätzlich zu reformieren. „Wir müssen alles über Bord werfen und das System ganz neu denken“, sagte er. Dass zum Beispiel in einem steuerfinanzierten System wie der Gesundheit das Geld zusammengeschüttet und dann wieder verteilt werde, sei Schwachsinn. Die Trennung von ambulantem und stationärem System sei ein weiterer Kostenfaktor. „Uns zerreißt es am Patientenbett zwischen dem Wunsch, zu helfen, Patienten gerecht zu versorgen, da zu sein, besonders auch am Lebensende, auf der einen Seite und der Ökonomie auf der anderen Seite“, sagte Lukaschewski.

Auch Rainer Häußler vom Kreisseniorenrat Esslingen kritisierte die Gesundheitspolitik. Es sei an der Zeit, Nägel mit Köpfen zu machen, auch über Parteigrenzen hinweg. „Ich glaube, dass genügend Geld im System ist“, sagte er. „Warum kann man es nicht so verteilen, dass es den Patienten zu gute kommt?“