Kirchheim. „Wie Gewalt entstehen und wozu sie führen kann“, war in der vergangenen Spielzeit schon zentrales Thema eines Theaterabends des Kulturrings gewesen.
Dieses Mal waren sich zunächst zwei Elfjährige unversöhnlich gegenübergestanden. Die gewünschte Aufnahme in eine Bande wurde durch einen brutalen Hieb ohne viele Worte abschlägig beschieden.
Die entscheidende Schlacht fand dann in der guten Stube der Eltern statt. Dass die zur wohlwollenden Schadensbegrenzung zusammengekommenen verständnisvollen Erwachsenen deutlich mehr Argumente und damit wesentlich länger brauchen werden, bis auch sie sich verbal die Lippen blutig schlagen und gegenseitig zerfleischen werden, zeichnete sich schon bald ab.
„Der Gott des Gemetzels“ lautet der schaurige Titel des durchaus auch vergnüglichen Stücks, mit dem das Ensemble der Badischen Landesbühne Bruchsal im Rahmen des Kulturring-Abonnements in der Stadthalle gastierte. Cornelia Heilmann (in der ganz besonders morallastig und pädagogisierend angelegten Rolle der „Opfermutter“ Véronique Houillé), Markus Hennes (als handfester und gradliniger Eisenwarenhändler und bekennender Hamster-„Mörder“), Evelyn Nagel (als souverän-nervös sich immer wieder nach außen kehrende Mutter des „brutalen Täters“) und Wolf E. Rahlfs (als sich vor allem für die honorarmäßig deutlich relevanteren Probleme seiner aktuellen Mandanten interessierender Anwalt) brillierten mit einer großartigen Ensembleleistung
Die Grundvoraussetzungen für einen überzeugenden Auftritt waren beim jüngsten Kulturring-Abend zweifellos gegeben. Yasmina Rezas sensationeller Bühnenerfolg, der zu den meist gespielten Theaterstücken der vergangenen Jahre zählt und 2011 auch von Roman Polanski mit den drei Oscar-Preisträgern Jody Foster, Kate Winslet, Christoph Walz sowie John C. Reilly kongenial verfilmt wurde, hätte durchaus das Zeug gehabt, künftige Abiturienten für zeitgenössisches Theater zu begeistern. Die hatten sich aber offensichtlich auf das Sternchenthema „Dantons Tod“ zu konzentrieren und an diesem Abend keine Zeit mehr, sich für Zeitgenössisches und daher nicht Prüfungsrelevantes zu interessieren.
Bis eine „mit Abstand erfolgreichste französische Theaterautorin der Gegenwart“ in einem deutschen Schulsystem aktuelles Abi-Thema werden kann, müssen sicher noch ein paar Jahre vergehen. Die zeitgenössische aktuelle Aufführung spielte daher einmal mehr eher „jugendfrei“ im geschlossenen Kreis der bewährten Kulturring-Abonnenten. Das aktuelle Thema spontan angewandter Gewalt unter Jugendlichen wurde aber ohnehin generationsversetzt und stellvertretend von den Täter- beziehungsweise Opfereltern transportiert und „geregelt“.
Auch wenn sie zunächst deutlich zivilisierter und weit weniger aggressiv als ihre beiden elfjährigen Kinder zusammenfanden, hatten sie im Verlauf der explosionsartig sich emotionalisierenden „Wiedergutmachungsverhandlungen“ aber letztlich ungleich mehr unverzeihliche Regelverstöße und nicht wieder gutzumachende Attacken und Blessuren zu verantworten als die letztlich auch versicherungstechnisch noch zu regulierenden ausgeschlagenen Zähne ihrer „Rabauken .“
Die gleich in doppelter Brechung vorgeführten „Szenen keiner Ehe“ bauten weder auf die Utopie Hoffnung weckender Fluchtpunkte, noch boten sie den im Salonambiente gleichsam Gefesselten wohlfeile Lösungen an. Da die gut gemeinte Begegnung im geschlossenen Raum ohne therapeutische Hilfestellung blieb, verlief auch der veritable Versuch einer gütlichen Einigung nach erfolgter und einstimmig verurteilter Gewaltanwendung erwartungsgemäß desaströs.
Was im postpubertären Schlagabtausch zweier Kinder per Stock gegen Oberlippe immerhin nur für zwei ausgeschlagene und in einem Fall ja auch „nur teilweise vom Nerv getrennte Zähne“ gesorgt hatte, ließ nach tragisch gescheiterten sublimen Lösungsversuchen gleich zwei grundsätzlich infrage gestellte Paarbeziehungen und vier nachgerade traumatisierte Erwachsene zurück. Das tragische Schicksal eines mutwillig ausgesetzten und sein fatales Finale daher eben nicht mehr erlebenden Hamsters, kam noch erschwerend und belastend hinzu.
Uneingeschränkt munter und vergnüglich war das also nicht, was die Badische Landesbühne da im Rahmen des Kirchheimer Kulturring-Abonnements auf die Stadthallen-Bühne brachte. Nachdenkenswert war das von BLB-Intendant Carsten Ramm im Salon gelungen in Szene gesetzte Gemetzel allemal. Die gefällige Inszenierung des von Erfolgsautorin Yasmina Reza entworfenen Vier-Personen-Stücks war zugleich auch erfreulich kurzweilig und pointenreich konzipiert.
Ariel Dorfmanns am Dienstag, 18. Juni, auf dem aktuellen Spielplan des Kirchheimer Kulturrings stehende Stück „Der Tod und das Mädchen“ verspricht erneut, ein auch und gerade für Jugendliche spannendes und sehr ernsthaftes Stück. Der ebenfalls von Roman Polansky mit Glenn Close, Gene Hackman und Richard Dreyfuss verfilmte Broadway-Erfolg wird wohl wieder in „geschlossener Gesellschaft“ gefeiert – und das, obwohl ja gerade die Jugend dafür geködert werden muss, um durch die Übernahme und Fortführung vorhandener Abonnements auch noch künftige Spielzeiten zu sichern.