Iris Häfner
Kirchheim. Windräder polarisieren, erst recht, wenn sie vor der eigenen Haustür stehen. Mit Windmühlen-Romantik hat dies heutzutage nichts mehr zu tun. Es geht um Giganten der Lüfte mit Bodenhaftung und die machen vielen Menschen Angst. Bis zur Rotorblatthöhe können es schon einmal annähernd 200 Meter sein – und das liegt knapp unter der Höhe der Antennenspitze des Stuttgarter Fernsehturms. Das Wahrzeichen Stuttgarts ist bekanntlich eine weithin sichtbare Landmarke und drei solcher in den Himmel ragenden Bauwerke sollen im Stadtwald Kirchheim im Gewann Bettenhart entstehen – so der Wille des Gemeinderats.
Aufgeschreckt durch diese Dimensionen und die konkreten Pläne, die derzeit dem Verband Region Stuttgart zur Prüfung vorliegen, hat sich vor rund drei Wochen die Bürgerinitiative „Pro Kirchheim“ gegründet. Dass Flyer und Vorbereitung zur Diskussionsveranstaltung mit heißer Nadel gestrickt und die ganze Organisation noch nicht ganz ausgefeilt ist, gaben die Initiatoren bei der Infoveranstaltung unumwunden zu, baten aber um Nachsicht, weil die Zeit drängte, denn Einwände gegen das Vorhaben waren ursprünglich nur bis zum 15. November möglich. Diese Frist wurde jetzt kurzfristig auf den 22. November verlängert wie einem Schreiben, das am Tag der Diskussionsveranstaltung im Briefkasten eines „Pro Kirchheim“-Mitglieds landete, zu entnehmen war. Dem Flyer fehlen Namen von Verantwortlichen, außerdem gab es auch keine Einladung an Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker zur Diskussionsveranstaltung. Die hatte jedoch keine Berührungsängste und lud sich kurzerhand selbst ein, um Stellung beziehen zu können.
Grundsätzlich will sich die Initiative als Interessengemeinschaft für alle Kirchheimer verstanden wissen, nicht nur für die Bewohner des Schafhofs. „Uns geht es insbesondere um das Naherholungsgebiet, das Jogger, Spaziergänger, Senioren und Kindergartengruppen gerne nutzen“, erklärte Moderatorin Jitka Hertfelder in Bezug auf das Waldgebiet hinter dem Weiler Schafhof und der Kreuzeiche bei Ohmden. Die Initiative lehnt Windenergie nicht grundsätzlich ab, wichtig ist den Aktiven jedoch die Verhältnismäßigkeit dieser Art der Energiegewinnung und dazu gehört für sie neben der in ihren Augen im Falle Kirchheims fragwürdigen Wirtschaftlichkeit auch der Preis, den die Natur und die Menschen bezahlen müssen.
Zunächst informierte Dieter Brackenhammer mithilfe einer Powerpoint-Präsentation über die Windenergie im Bettenhart aus Sicht von „Pro Kirchheim“. Da es sich dabei ausschließlich um Waldfläche handelt, müsste pro Windmühle eine Fläche von mindestens einem Fußballfeld gerodet werden. „Aus diesem Grund lehnen NABU, BUND und Forstverwaltung den Standort ausdrücklich ab“, heißt es dazu auch im Flyer. Zudem handelt es sich bei der Fläche um ein Vogelschutzgebiet, das vielen Kommunen rund um die Teck schon viel Kopfzerbrechen bereitet hat – Stichwort Halsbandschnäpper und keine Ausweisung von Neubaugebieten. Im Falle des Bettenhart sind es jedoch statt des kleinen Singvogels Rot- und Schwarzmilan, Wespenbussard, Fledermäuse und Eulen.
Doch nicht nur die Tiere will „Pro Kirchheim“ geschützt wissen, sondern auch die Menschen. Windkraftwerke erzeugen ständig Schattenschlag und Lärm, insbesondere Infraschall. „Das ist ein tiefer Schall, eine Druckwelle, ein ewiges Pulsgefühl“, meldete sich Dr. Dietmar Seegers, Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, bei der Diskussion zu Wort. Das „Wuff-Wuff-Geräusch“ der Rotorflügel sei ein beständiger Impuls, der kommt und geht. „Gerade dieser Impulsschall ist problematisch weshalb der Abstand der Anlagen zu Siedlungen deutlich größer sein sollte, als es das Gesetz vorsieht“, so die Aussage des Mediziners.
Oberbürgermeistern Angelika Matt-Heidecker verlässt sich als Juristin klar auf die gesetzlichen Bestimmungen. Das heißt 700 Meter Abstand zu Wohngebieten, 450 Meter zu Aussiedlerhöfen. Im Falle des Bettenhart wären es 920 Meter zum Schafhof und 550 Meter zu einem Aussiedlerhof. Um mehr Spielraum zu haben, hat die Stadt Kirchheim die Ausweisfläche von 13 auf 29 Hektar in Richtung Osten erweitert. Maximal sechs Windräder hätten auf dieser Fläche Platz. Die gesetzlich bestimmte Entfernung ist der Initiative aber viel zu gering und sie beruft sich dabei auf Herstellerzahlen, die als Mindestabstand 2,6 Kilometer empfehlen würden. Nicht zu unterschätzen sei auch die Gefahr des Eiswurfs im Winter, gerade im stark frequentierten Naherholungsgebiet.
Angelika Matt-Heidecker erläuterte ihre Sicht und die des Gemeinderats. „Wir wollen die Energiewende und die kann nicht nur weit weg an der Nord- oder Ostsee stattfinden, sondern auch dort, wo Energie in Massen verbraucht wird: in Ballungsgebieten“, sieht sie sich in der Verantwortung. Ob die Windräder kommen, steht aus ihrer Sicht in den Sternen: Zum einen liegt die Planungshoheit beim Verband Region Stuttgart und dem Landratsamt Esslingen, Kirchheim hat darüber nicht zu bestimmen. Zum andern entscheide ein Investor, ob für ihn der Bau eines Windrads Profit abwirft. „Der kommt erst, wenn sich das Projekt rechnet“, ist sie sich bewusst, ebenso der Tatsache, dass im Bettenhart die Windwerte an der unteren Grenze der Rentabilität liegen. „Mit der jetzigen Planung schaffen wir die Voraussetzung für Windenergie – die Umsetzung hängt aber von anderen Dingen ab“, so Matt-Heidecker.
Die anschließende Diskussion war ausführlich, die Gegner der Windkraftanlagen in der Mehrzahl, doch es gab auch die eine oder andere Stimme pro Windenergie aus dem Stadtwald im Bettenhart – und alle sind auf die Entscheidung des Regionalparlaments gespannt.
