Kirchheim. Wieder ein Gedenktag: Ludwig Uhland ist vor 150 Jahren gestorben. Aus diesem Anlass ist im
Tübinger Stadtmuseum eine Ludwig-Uhland-Ausstellung zu sehen. Bei dieser Ausstellung hat der Germanist und Leiter des Cotta-Archivs, Dr. Helmuth Mojem, maßgeblich mitgearbeitet. Dem Literaturbeirat ist es gelungen, ihn zu einer Matinee ins voll besetzte Max-Eyth-Haus nach Kirchheim zu holen – mit einem Vortrag über „Ludwig Uhland – Dichter und Politiker“.
Die Zuhörer bekamen eine Menge Informationen geschliffen serviert. Die erste Botschaft war ernüchternd: Uhland ist tot. Er wurde schon zu Lebzeiten von Heine als Dichter totgesagt und spielt heute praktisch keine Rolle mehr. Dass Plätze, Straßen und Schulen – wie das Ludwig-Uhland-Gymnasium in Kirchheim – nach ihm benannt sind, darf darüber nicht hinwegtäuschen. Es ist ein Nachklang der Bedeutung, die Uhland einmal hatte. Zu seiner Beerdigung am 16. November 1863 kamen Tausende nach Tübingen. Schließlich war er in der allgemeinen Wahrnehmung Schiller und Goethe gleichgestellt. Seine Lyrikbände „Gedichte“ und „Vaterländische Gesänge“ waren Bestseller und populär.
Warum kam dieser Absturz in die Bedeutungslosigkeit? Und ist er berechtigt? Diesen Fragen nachzugehen nahm sich der Gastredner vor.
Poet, Wissenschaftler und Politiker
Uhland war in drei Bereichen tätig: Er war Poet, Wissenschaftler und Politiker. Dass er am 26. November 1787 in Tübingen in eine Akademikerfamilie hineingeboren wurde, machte diese „Begabungsauffächerung“ möglich. Fleißig und pflichtbewusst absolvierte er die Lateinschule und ein vom Vater eingefordertes Jurastudium mit Promotion. Doch seine poetischen Neigungen ließen sich nicht unterdrücken. In Tübingen schloss er sich einem Kreis junger Literaten um Justinus Kerner an, mit dem er ein Leben lang freundschaftlich verbunden blieb. In der Zeit der Tübinger Romantik entstanden einige der schönsten und volkstümlichsten Gedichte wie „Die Kapelle“, „Frühlingsglaube“ oder „Der gute Kamerad“.
Symptomatisch für die Interessenlage und für seine Persönlichkeit ist die Tatsache, dass er bei einem Stipendiumsaufenthalt in Paris nicht, wie vorgesehen, den Code Napoléon studierte oder das Leben genoss, sondern in Bibliotheken mittelalterliche Schriften exzerpierte. Am Beispiel von „Frühlingsglaube“ („Die lauen Lüfte sind erwacht . . .“) wies Mojem die Qualität von Uhland-Gedichten nach. Nach einer ins Detail gehenden Interpretation kam der Referent zu dem Ergebnis: „Dieser Text ist schlichtweg ein Meisterwerk.“ Es ist im Detail und im Gesamtaufbau von einer „kunstvollen Einfachheit“ geprägt, also von bester Volksliedqualität. Nicht flach und „einsinnig“, wie Ludwig Uhland oft unterstellt wird, sondern mit verschiedenen Dimensionen, sogar einer politischen. „Nimmt man noch Schuberts kongeniale Vertonung hinzu, hat man ein Beispiel dessen, was deutsche Kultur im 19. Jahrhundert ausmacht.“ Eichendorff rühmte Uhland, und selbst Heine billigte ihm zu, der „eigentliche Liederdichter“ der romantischen Schule zu sein.
Politisch wurde Uhland über die Poesie in den „Vaterländischen Gedichten“, in denen er für das „alte gute Recht“ eintrat, das in einem Vertag zwischen den Landständen und dem Herzog 1514 beschlossen und von König Friedrich I. ausgesetzt war. 1819 wurde der Autor dieser Verse in den Landtag gewählt. Bei der Verabschiedung der Verfassung wurde sein Drama „Ernst, Herzog von Schwaben“ im Stuttgarter Hoftheater aufgeführt.
Diesem Höhepunkt der Anerkennung folgte ein weiterer: Er wurde Professor für deutsche Literatur in Tübingen. Damit erfüllte sich für ihn ein Wunschtraum, und er trug durch seine Beschäftigung mit „altdeutschen Dichtern“ zur Entstehung der Germanistik als Wissenschaft bei. Die neuerliche Wahl in den Landtag 1833 kollidierte mit seiner Tätigkeit als beliebter akademischer Lehrer. Er musste sie aufgeben. König Wilhelm beging noch ein politisches Foulspiel, indem er in einer Randnotiz Professor Uhlands Tätigkeit als „ganz und gar unnütz“ abqualifizierte.
Das Engagement in der Politik bedeutete das Verstummen des 30-jährigen Dichters. Als Abgeordneter der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche stimmte er als bekennender Demokrat meist mit der Fraktion der Linken. Er hielt Reden für die Pressefreiheit, für die Einschränkung des Militärs, gegen die Todesstrafe und über andere mutige demokratische Anliegen. Als das Rumpfparlament in Stuttgart vom Militär gehindert werden sollte, sich zu versammeln, formierte sich ein Demonstrationszug mit Uhland an der Spitze. Imponierend ist auch, dass er später den Orden „Pour le Mérite“ ablehnte, weil Zeitgenossen gleicher demokratischer Gesinnung sogar zum Tode verurteilt worden waren.
Und solch ein Mann ist heute vergessen?
Mojem führte zum Schluss Gründe an, die Uhlands Wirkungslosigkeit teilweise erklären. Er findet sie in der Persönlichkeit und der Biografie des Jubilars. Uhland muss ein „langweiliger“, schweigsamer Typ gewesen sein, ein Schwabe, der „sei Sach schafft“, aber – uneitel und bescheiden – keinen Wind darum macht. Einer, der keine spektakuläre Biografie mit Frauengeschichten, Selbstmord oder frühem Tod zu bieten hat. Für den Uhland-Kenner steht fest: Er ist ein großer Dichter, den es wieder zu entdecken gilt. Gedenktage sind geeignet, Impulse zu geben. Ob die Impulse nachhaltig sind, bleibt vage.
Nach dem Vortrag, der mit Bildprojektionen aus dem Tübinger Katalog aufgelockert wurde, schloss sich noch ein ungewöhnlich intensiver Dialog mit den Zuhörern an. Es wurde deutlich, dass Uhland auch witzig sein konnte und dass viele Verse als Zitate noch im allgemeinen Bewusstsein sind, ohne dass sie Uhland zugeordnet werden. Ganz besonders beschäftigt die Schwaben natürlich der „Schwabenstreich“ der „Schwäbischen Kunde“. Mojem beruhigte: Der halbierte Türke sei parodistisch aufzufassen.
In jedem Fall ist es eine historische Ungerechtigkeit, dass Uhlands Rolle als Vorkämpfer der Demokratie heutzutage nicht angemessen gewürdigt wird.