Kirchheim. Der Balkon von Eugen und Olga Wagner ist nichts für Menschen mit Höhenangst. 50 Meter blickt man vom Balkongeländer aus
Heike Allmendinger
dem 17. Stock in die Tiefe. Dem ein oder anderen Besucher kann es da schon mal schwindelig werden. „Wenn Bekannte zu uns kommen, dann sagen die meisten zuerst: ,Wow, das ist ja eine tolle Aussicht.‘ Und dann gucken sie runter und gehen wieder einen halben Schritt zurück“, erzählt Eugen Wagner schmunzelnd.
Der Respekt vor der Höhe sei bei den meisten Menschen enorm. Auch bei Eugen und Olga Wagner ist eine gewisse Ehrfurcht vorhanden – zumal sie eine ein Jahre alte Tochter und einen drei-jährigen Sohn haben. Höhenangst hat das junge Ehepaar aber dennoch nicht. Ansonsten wären die Eheleute wohl auch nie in den obersten Stock des Kirchheimer Hochhauses in der Aichelbergstraße gezogen.
Seit fünf Jahren leben die Wagners in 50 Metern Höhe. Nebenan wohnt eine weitere Familie. Die beiden Wohnungen eint ein ganz besonderes Privileg: Sie sind die höchsten der Teckstadt. Darauf sind Eugen und Olga Wagner schon ein wenig stolz, sagen sie unisono.
Anfangs war der 32-Jährige jedoch nicht ganz so begeistert von der Idee seiner Frau, in das Hochhaus zu ziehen – und das, obwohl er früher mit seinen Eltern im fünften Stockwerk des Monuments lebte. Seine Frau konnte ihn dennoch überreden, und mittlerweile gefällt es beiden so gut, dass sie gar nicht mehr ausziehen wollen. Vor allem der einmalige Blick auf die Teck und bis weit über die Grenzen Kirchheims hinaus hat es dem jungen Paar angetan. „Da kann weit und breit keiner mithalten“, schwärmt der 32-Jährige. Die Aussicht sei auch das Hauptkriterium gewesen, weshalb sich die Eheleute für die Wohnung im obersten Stockwerk entschlossen haben. „Für mich war klar: Wenn schon Hochhaus, dann will ich die VIP-Wohnung ganz oben haben, in der man keinen Nachbarn über sich hat und die tolle Aussicht genießen kann“, sagt Eugen Wagner.
Ein weiterer Vorteil der knapp 110 Quadratmeter großen Vierzimmerwohnung sei die gute Lage des „Wolkenkratzers“, betonen die Wagners. „Wir sind gleich an der Autobahn und nicht weit von der Innenstadt entfernt.“ Darüber hinaus habe man an Silvester vom Hochhaus aus die beste Aussicht. „Wir sehen das Feuerwerk von Kirchheim und der ganzen Umgebung“, schwärmen die Eheleute. Auch sei die Gemeinschaft im Haus sehr gut, man lebe keineswegs anonym. „Wir kennen die meisten Leute hier“, erzählt Olga Wagner. Ein Mal im Jahr kommen die Bewohner der 66 Wohneinheiten zu einem Grillfest zusammen, das auf einer Grünfläche über der Tiefgarage gefeiert wird. Organisiert wird das Fest auch vom „engagierten Hausmeister“, den die Wagners in den höchsten Tönen loben. „Er sieht unser Hochhaus als absolutes Prestigeobjekt an und ist immer in Bereitschaft“, verdeutlicht Eugen Wagner.
Gebaut wurde das markante Domizil an der Umgehungsstraße Ende der 60er-Jahre. Zu den beiden Wohnungen im 17. Stock führen 272 Stufen. „Die Treppen benutzen wir aber nur, wenn der Aufzug streikt. Er hat uns ein paar Mal im Stich gelassen, aber meistens funktioniert er“, erzählt Eugen Wagner. Mit dem Aufzug sei man in 56 Sekunden vom Erdgeschoss im 17. Stock, weiß der 32-Jährige. Zu Fuß hat er einmal zweieinhalb Minuten gebraucht. „Da war ich aber sehr schnell und danach fix und foxi“, erinnert sich Eugen Wagner. Seine Eltern sind mittlerweile vom fünften in den zwölften Stock des Hochhauses gezogen. Für die Familienmenschen Eugen und Olga Wagner ist es etwas ganz Besonderes, dass die Generationen unter einem Dach leben. „Wir besuchen uns regelmäßig und unterstützen uns auch im Alltag.“
So packten Eugen Wagners Eltern zum Beispiel beim Renovieren der Wohnung im 17. Stock mit an. Und Eugen Wagner half seinem Vater unter anderem dabei, eine Markise am Balkon im zwölften Stock anzubringen. „Das war ein einmaliges Erlebnis. Ich hatte gar kein gutes Gefühl wegen der Höhe“, erinnert sich der 32-Jährige.
Apropos Höhe – die Wagners achten stets darauf, dass ihre Kinder Yvonne Marie und Ben Matthias sich nicht alleine auf dem Balkon aufhalten. „Sie dürfen nur unter Aufsicht raus.“ Einmal habe der kleine Ben Matthias einen Korb voller Wäscheklammern über das Balkongeländer geworfen, erinnern sich die Eheleute. „Die Klammern waren überall verstreut und wir mussten sie wieder einsammeln“, erzählt Eugen Wagner schmunzelnd. Auch so manches Kleidungsstück, das zum Trocknen auf dem Balkon aufgehängt wurde, habe sich schon selbstständig gemacht. „Wir müssen die Kleidung gut befestigen, denn es ist oft sehr windig auf dem Balkon.“
Für Olga und Eugen Wagner gibt es nur wenige Nachteile, im Hochhaus zu wohnen. Dazu gehören zum Beispiel die Vögel, die im Sommer auf dem Dach sitzen und in aller Früh ein Pfeifkonzert veranstalten. Außerdem höre man die Tierchen über das Dach tapsen, ergänzt Eugen Wagner. Hinzu komme der Verkehrslärm von der Umgehungsstraße. „Er nimmt kontinuierlich zu“, haben die Eheleute beobachtet. Ein weiterer Nachteil sei, dass man dem Haus an manchen Stellen sein Alter ansieht. „Es gibt schon manche Dinge, die renovierungsbedürftig sind, beispielsweise das Eingangsfoyer“, sagt Eugen Wagner.
Dennoch fühlen sich die Wagners rundum wohl in ihrer „VIP-Wohnung“, wie Eugen Wagner sie bezeichnet. „Eine solche Wohnung hat wahrlich nicht jeder hier in der Region.“