Kirchheim. Die Konzertbesucher durften an diesem Abend auf den Auftritt des „Schubert-Oktetts“, einem achtköpfigen Ensemble mit dem deutsch-schweizerischen Amaryllis Quartett (Gustav Frielinghaus, erste Violine; Lena Wirth, zweite Violine; Lena Eckels, Viola und Yves Sandoz, Cello), erweitert durch Alexandra Hengstebeck (Kontrabass), Christoph Eß (Horn), Markus Krusche (Klarinette) und Antonia Zimmermann (Fagott), gespannt sein. Handelte es sich doch bei den ambitionierten jungen Musikern durchweg um vielfach ausgezeichnete Akteure, die, teils in solistischen Funktionen, Mitglieder namhafter nationaler und internationaler Orchester sind.
Das sich von der Wiener Klassik bis in die Moderne spannende, umfangreiche Programm wurde mit Joseph Haydns „Reiterquartett“ in g-Moll, op. 74/3 eröffnet, das seinen Beinamen aus der mitreißenden Jagdmotivik des Finalsatzes bezieht. Schon im vielgestaltigen Auftaktsatz „Allegro non troppo“ mit seinen Vorhalten und Triolenketten fiel die hoch entwickelte Spielkultur des Ensembles auf, beispielsweise wurde das im Tempo zurückgenommene ländlerartige Motiv im Dreivierteltakt in feinem Gegensatz zu den rasant-energischen Sechzehntelpassagen musiziert.
Das Thema des feierlich pathetischen „Largo assai“ mit seinem ganzen Kosmos an melodischen und harmonischen Einfällen wurde in einfühlsamer Zartheit vorgetragen, wie überhaupt der ganze Satz dynamisch verhalten, weitgehend im Mezzopiano und dennoch ausdrucksstark dargeboten wurde, mit einer Coda, die in feinstem Pianissimo verklang. Zur Gesamtwirkung trugen filigrane Figurationen, Auszierungen und Umspielungen des Primarius Gustav Frielinghaus bei.
Dem „Menuett Allegro“ mit tanznahem ersten Teil und verspieltem Trio folgte das dem Publikum so richtig Laune machende, zügig fließende Finale „Allegro con brio“ mit seinem Galopprhythmus, der wiederum mit einem zweiten augenzwinkernd fröhlichen Motiv kontrastiert. Federnde, aller Erdenschwere enthobene, nur so hingetupfte Synkopen, atemberaubende Läufe, vor allem wieder in der ersten Violine, krönten den insgesamt luftig-duftigen Vortrag dieses Werks.
Eine komplett andere Klangwelt, mit der herkömmliche Hörgewohnheiten nicht bedient wurden, bot sich dem Publikum in Anton Weberns (1883–1945) „Fünf Sätzen für Streichquartett“, op. 5, einem 1910 komponierten Werk, das 1929 auch in einer Fassung für Streichorchester erschien. Nur im ersten Satz „Heftig bewegt“ wird die Sonatensatzform noch angedeutet, in der Folge werden klassische Form und tonale Struktur aufgelöst und die musikalische Aussage wird zu „Klangaphorismen“ verkürzt. Dafür gibt es einen häufigen Wechsel der Spieltechniken, wobei zarte Flageoletts, flirrende Tremoli, Pizzicati mit Strichen mit dem Bogenholz und in Stegnähe alternieren und eine hohe Klangfarbendichte schaffen. Das Ensemble musizierte das Stück überaus spannungsreich, mit höchster Konzentration und ausgeprägter reaktiver Präsenz, wobei man in den beiden mit „Sehr langsam“ bezeichneten Sätzen eine Stecknadel hätte fallen hören. Es gab starken Beifall und vereinzelte Bravorufe für diese Leistung.
Um dem Amaryllis Quartett eine Erholungspause zu gönnen, trat in der Folge die Kontrabassistin Alexandra Hengstebeck mit drei Sätzen (Prélude – Allegro moderato; Allemande – Adagio; Gigue – Vivace) aus der 1954 veröffentlichten „Suite im alten Stil für Kontrabass allein“ des Kontrobassvirtuosen und Hochschulprofessors Hans Fryba (1899-1982) auf den Plan. In ihrem Vortrag wies die Solistin eine vortreffliche Beherrschung ihres schwierigen und auch physisch anforderungsreichen Instruments nach. Bisweilen tief über den Bass gebeugt, bediente sie die gesamte Griffbrettlänge mit den nahezu viereinhalb Oktaven, die dieses Instrument ermöglicht. Besonders schön und mit sonorem Wohlklang erklang dabei die melodiöse „Allemande“, doch auch im Finalsatz bestach die Akteurin durch virtuoses Feuer der Darbietung. Begeisterte Bravorufe waren der Solistin Lohn.
Der Höhepunkt des Konzertabends kam indessen mit Franz Schuberts sechssätzigem Oktett in F-Dur, D 803, mit dem der Komponist an Beethovens Septett anknüpft, das bis auf die zweite Violinstimme gleich besetzt ist. Nach eigener Aussage wollte Schubert sich mit dem etwas mehr als eine Stunde dauernden Werk, das neben sinfonischen Passagen auch konzertante Elemente enthält und bisweilen im Divertimentostil gehalten ist, mit verschiedenen Satzformen experimentieren und sich den „Weg zur großen Sinfonie“ bahnen.
Aus den mannigfachen Glanzlichtern des Vortrags soll hier zunächst der zweite Satz „Adagio“ erwähnt werden, dessen Klangfarben durch die Bläser, allen voran durch die Klarinette mit ihren einleitenden zwölf Solotakten, dominiert werden. Hinreißend der Zwiegesang zwischen erster Violine und Klarinette und ein fein und klangintensiv dargebotener Schluss. Auch der vierte Satz „Andante“ mit sieben rhythmisch und harmonisch höchst abwechslungsreichen Variationen, in denen die meisten Instrumente abwechselnd solistisch hervortreten, riss die Zuhörer mit. Exaktestes Zusammenspiel bis hin zu Zweiunddreißigstel-Sextolen der ersten Violine, makellose Reinheit der Intonation und ausgeprägte dynamische Bandbreite waren hier weitere Trümpfe des Vortrags. Schließlich wurden im Finale „Andante molto – Allegro“ alle Register gezogen. In der düsteren Moll-Einleitung gab es ein Cellotremolo von Yves Sandoz, bedrohlich wie ein Hornissenschwarm, sprühende konzertante Leichtigkeit aller Instrumente im Laufwerk des schnellen Teils und schließlich eine fulminante Schluss-Stretta, bei der das „Allegro molto“ frenetisch weiter gesteigert wurde: rasender Beifall als Lohn für eine herausragende konzertante Leistung aller Spieler.