Owen. In der feierlich beleuchteten und voll besetzten Marienkirche in Owen gab der „Chili Chor carne“ ein außergewöhnliches Konzert. Der rote Faden des Programms zog sich in den Werken vom Dunkel ins Licht,
Christine Reichow
außerdem waren die Komponisten chronologisch aufgeführt und zu hören. Nach einer kurzen Begrüßung durch den Hausherrn, Pfarrer Ekkehard Graf, begann der Chor auf der Empore mit einem mehrstimmigen Choralsatz von Heinrich Schütz, dem „Selig sind die Toten“. Sehr zerbrechliche und sehr hohe Klänge trugen den schweren Satz durch das gesamte Kirchenschiff. Sicher nicht leicht zu singen und als Anfangsstück mutig gewählt, setzten die Sängerinnen und Sänger mit ihrem neuen Dirigenten Sebastian Auer erste wunderschöne musikalische Akzente. Kaum war der letzte Ton von der Empore verklungen, erschien Heiko Nonaka direkt vor dem Altar und brachte mit seinem Solocello ein Präludium aus der Suite 1 in G-Dur von Johann Sebastian Bach zu Gehör. Er schaffte es scheinbar mühelos, den Kirchenraum und die Zuhörer gleichermaßen in seinen Bann zu ziehen, denn er spielte schnörkellos, aber souverän und gefühlvoll dieses musikalische Kleinod von Bach. Der Chor knüpfte inhaltlich daran an und sang in Haupt- und Fernchor geteilt die Bach-Motette „Unser Leben ist ein Schatten“. Darin enthalten ist ein harmonischer Choralsatz, der behutsam vom ganzen Chor gemeinsam gesungen wurde und dadurch noch mehr an Stärke und Aussagekraft gewinnen konnte.
Für das anschließende „Locus Iste“ von Paul Mealor, einem zeitgenössischen Komponisten aus Großbritannien, wurde der Chorraum der Kirche zu einem harmonischen Resonanzkörper. Der Bass bildete ein tragendes Fundament, auf dem die klaren Frauenstimmen diese lateinische Motette aufbauen konnten. Der Chorraum war sicher nicht zufällig gewählt, denn der Text, der diesem Stück zugrunde liegt, lautet: „Dieser Ort ist von Gott geschaffen, ein unschätzbares Geheimnis, kein Fehl ist an ihm.“
Mit dem wunderbaren und tröstenden Lied „O du stille Zeit“ von Simon Walwer nahm der Chor die Zuhörer mit auf eine Reise in einen harmonischen Landstrich, der in einer ruhigen Berglandschaft stehen geblieben zu sein schien. Dieses kleine Lied, das die Herzen des Publikums traf, schwebte mühelos auf einem reinen Klangteppich, den der Chor auswendig den gespannten Zuhörern zusang.
Mit „Salve Regina“ von Gunnar Eriksson wurden die Sängerinnen und Sänger gleich von zwei begabten Musikern begleitet: das Solocello spielte wieder Heiko Nonaka, der dem Stück einen ganz eigenen Charakter entlockte. Ein weiteres, ebenfalls wichtiges Instrument war hier das Cajon, das von Matthias Kurz souverän gespielt wurde. Beide sind Studienfreunde von Sebastian Auer, dem aktuellen Leiter des „Chili-Chores“. Alle drei Musiker sind darüber hinaus auch Freunde von Tobias Schmid, dem bisherigen Dirigenten des Ensembles.
Ralph Vaughan Williams „Rest“ verband auf wundersame Weise zeitgenössische Chormusik mit den Satztechniken der Renaissance und traditionellen englischen Volksliedern. Diese Mischung perfekt zu singen war für den Chor kein Problem, und so konnte man auch jazzartige Elemente und Harmonien aus dem 20. Jahrhundert heraushören und erleben.
Wie schon im letzten Jahr bildete auch in diesem Programm ein Lied mit afrikanischen Wurzeln einen kleinen Höhepunkt. Albert Grau, 1937 in Venezuela geboren, schrieb in einem seiner Hauptwerke das Stück „Kasar mie la gai“, was so viel bedeutet wie „Die Erde ist müde, sie wird uns nicht mehr lange tragen“. Dieses Sprichwort aus der Sahelwüste wurde vom Chor mit großer Sensibilität und Engagement vorgetragen. Hier kommen nicht nur gesungene Elemente vor, auch Wind und rauschende Wüstenstürme werden erkennbar. Die Sängerinnen und Sänger flüstern, klatschen und summen, sie illustrieren damit perfekt den eigentlich problematischen Hintergrund des Stückes, nämlich den langsamen Zerfall des Planeten. Die mitreißende Darstellung dieses „Earth-Songs“ nahm das Publikum mit in eine große Spannung, die sich am Schluss durch Stampfen und rhythmisch perfektes Klatschen entladen konnte.
Im anschließenden Solocello-Lied von Mark Summer mit dem verheißungsvollen Titel „Juli-o“ ließ Heiko Nonaka ein Stück sommerliche Leichtigkeit in den dunklen und bisweilen sehr frostigen November erklingen. Mit großer Virtuosität spielte er fröhliche Melodien, gespickt mit schwierigen Doppelgriffen und dunklen Zwischentönen, einer frischen Erinnerung an den Sommer und melodiösen Gitarrenklängen.
Im letzten Stück des sehr vielseitigen Programmes wurde der große Spannungsbogen und Wandelgang vom Dunkel ins Licht noch einmal besonders deutlich. Bobby McFerrins „The Garden“ ist ein hoffnungsvoller Anklang an große Sing-, Spiel- und Lebensfreude. Beides wurde von allen beteiligten Musikern perfekt umgesetzt. So entstand durch wunderschöne Solostimmen, gepfiffenen Elementen und minimalistisch eingesetzter Percussion ein weiteres Stück unbeschwerten Sommers mitten im November.
Das Publikum dankte den Musikern durch anhaltenden herzlichen Applaus für einen ungewöhnlichen und reichhaltigen Abend mit schönster Chormusik über mehrere Jahrhunderte und durch eine Reihe von Kontinenten.