Weilheim. Wichtig war Jimmy Hartwig aber offensichtlich nicht, die Aufmerksamkeit des Publikums auf sein Buch zu richten, sondern für die Gefahren einer lebensbedrohlichen Krankheit zu sensibilisieren, die nur besiegt werden kann, wenn sie entdeckt wird, bevor die Metastasen zu weit fortgeschritten sind: Krebs.
Jimmy Hartwig ist durch die Hölle gegangen und hat einen hohen Preis dafür gezahlt, dass er sein Leben lang Zeit nicht richtig ernst genommen hat. Heute hat er dazugelernt und einen fast missionarischen Eifer entwickelt, andere vor dem Fehler zu bewahren, der ihn fast das Leben gekostet hat und dessen Folgen ihn immer begleiten werden. Jimmy Hartwig will Männer überzeugen, wie harmlos und wie wichtig regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen sind.
In bequemen Ledersesseln auf der Bühne sitzend, hangelten sich Peter Brändle und sein Gast durch ein Leben, das vom Schatten einer Kindheit als Mischlingskind der 50er Jahre ins grelle Rampenlicht eines gefeierten Fußballstars reicht, der Millionen verdient und mit „schönen Frauen, schnellen Autos und falschen Freunden“ auch schnell wieder los wird.
Im freien Fall stürzt er ins Bodenlose, bleibt aber nicht auf der Strecke sondern kämpft sich in Folge zurück. Für ein Gastspiel im Dschungelcamp würde sich Jimmy Hartwig heute wohl nicht mehr hergeben, denn er hat genügend Selbstbewusstsein, um sich allein auf sich und seine Stärken konzentrieren zu können.
Von Regisseur und Schauspieler Thomas Thieme („Das Leben der anderen“) für die ernsthafte Schauspielerei entdeckt, überzeugte das Naturtalent Jimmy Hartwig nach seinem Absturz beispielsweise in der Rolle eines in die besseren Kreise seiner Heimatstadt hineingeborenen Fabrikanten in Bertold Brechts „Baal“ oder – in frühester Kindheit als „Mischling“ diffamiert und seiner Hautfarbe und Herkunft wegen immer wieder diskriminiert – auch in der Rolle des „Mohrs von Venedig“, Othello.
Dass Jimmy Hartwig durchaus das Zeug hätte, auch als Blues- oder Gospel-Sänger gut ins Geschäft zu kommen, dürfte für viele vielleicht die größte Überraschung dieses Abends im Rahmen der Reihe „Kreuz und quer – Kirche neu erleben“ gewesen sein, die von der Evangelischen Kirchengemeinde in der Limburghalle präsentiert wurde. Nicht nur Jimmy Hartwig hatte schließlich gerne seinem Duzfreund, dem „Herrn Pfarrer“ zugesagt, sondern auch der als „Kirchheimer Jimmy Hendrix und Eric Clapton aus Bartenbach“ von Peter Brändle angekündigte Werner Dannemann.
Mit von der Partie war auch Ausnahme-Percussionist Bodo Schopf, den Pfarrer Brändle dafür bewunderte, dass er „unter anderem schon mit Eric Burdon, Falco, Udo Lindenberg und ‚Schwoißfuaß‘ gearbeitet hat“ und ihm großmütig verzieh, dass auch die Gruppe „PUR“ auf seiner Referenzliste steht . . .
Mit ausgewählten Rock-Klassikern der 60er bis 80er Jahre umrahmten die beiden Profi-Musiker die am Reformationstag aufgestellten –und zu Halloween passend „Süßes und Saures“ verbindenden – Thesen und Theorien einer entspannt zelebrierten Talk-Show, die sich trotz hohem Unterhaltungswert doch vorwiegend ernsthaft mit existenziellen Fragen beschäftigte.
Der klare Höhepunkt des Abends war aber sicherlich erreicht, als der ohnehin schon von Anfang an durch seine gewaltige Bühnenpräsenz beeindruckende Jimmy Hartwig auch noch mit enormem Stimmvolumen und eindrucksvoller Improvisationskunst nicht nur Werner Dannemann und Bodo Schopf überraschte. Ohne Probe und vorausgegangene lange Absprachen wechselte er tatsächlich erkennbar spontan in ihre Bühnenecke und konnte das gut eingespielte Duo als fulminanter Blues-Sänger überzeugend erweitern.
Zuvor hatte er gut gelaunt angemerkt, dass er wie schon Luther „viele Ohrfeigen eingesteckt“ habe und „wie das Volk Israel durch die Wüste gewandert“ sei. Beides sei für ihn sehr schmerzhaft, sicher aber auch wichtig und wertvoll gewesen. Durch seine Abstürze und seine schwere Krankheit habe er aber erst zu sich und zum Glauben an Gott gefunden und erkannt, „was für ein Vollpfosten“ auch er früher gewesen sei.
Dass er sich aus dieser Erkenntnis heraus konsequent „Vom Saulus zum Paulus gewandelt“ habe, versteht Jimmy Hartwig als Dank, den er Gott schuldet. Er erwartet „von dem da oben“ auch, dass er „öfter mal einen Donner runter lässt“, damit die Menschen endlich „aufwachen“. Auch er habe schließlich erst in der durchlittenen Zeit seiner schweren Krankheit gelernt, dass man nicht nur fordern könne sondern auch geben müsse.
Wer hierzulande eine Chance haben wolle, müsse sich beispielsweise auch vorbehaltlos zur Kultur und Sprache seiner neuen Heimat bekennen, um seinen Außenseiterstatus endgültig loszuwerden, fordert Jimmy Hartwig im Blick auf die ihm ungemein wichtigen Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund, denen er dadurch möglichst große Chancen für eine gleichberechtigte Zukunft wünscht.
Seine ganze Kindheit lang war Jimmy Hartwig vom Gefühl geprägt, nicht anerkannt zu werden. Noch heute ist er überzeugt, dass er nur deshalb im Haus seiner Tante zur Welt kam, weil der im Haus seiner Mutter wohnende Opa „einen Mischling“ nicht akzeptieren konnte. In guter Erinnerung hat Jimmy Hartwig, der mit dem HSV drei Mal Deutscher Meister wurde, seinen Trainer Ernst Happel, der ihm immer eine Chance und einen Stammplatz in der Mannschaft gab. Jupp Derwall, der ihn nur zwei Mal für das Nationalteam nominierte, erinnert ihn dagegen im Blick zurück nur an seinen Opa . . .
Dass Jimmy Hartwigs „Entdecker“ nicht ganz falsch liegt, wenn er ihm attestiert, eine natürliche Begabung zu haben, Menschen zu unterhalten, wurde an diesem spannenden Abend nachhaltig belegt. Zu langweilen scheint tatsächlich „in seiner Natur gar nicht vorgegeben“ zu sein.