Kirchheim. Warum stand Monheims Vortrag, zu dem der Verkehrsclub Deutschland (VCD), der BUND, IG Metall und DGB sowie das Kirchheimer Bündnis für K 21 eingeladen hatten, nicht im offiziellen Jubiläumsprogramm, trotz einer frühen Anfrage? Laut Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker war dies ein Missverständnis. Dennoch fanden rund 50 Interessierte in den Spitalkeller. Sie hörten einen Verkehrsplaner, der in seiner Laufbahn öfter mal Probleme bekam, er war seiner Zeit eben weit voraus. Hilfe, ein Semesterticket für das ganze Ruhrgebiet? Zwei Busse im Linksverkehr halten lassen, damit die Leute auf kürzestem Weg umsteigen können? Was einst heiß umkämpft war, ist heute selbstverständlich.
Anderes noch nicht. Bei Monheims Darstellung, dass eine Straße mit schmalen Fahrspuren weniger Staus produziere als eine zu großzügig ausgebaute, regte sich bei einem Zuhörer vehementer Widerspruch: Das sei blanke Theorie. Monheim konterte: Er habe in Nordrhein-Westfalen nach dieser Leitlinie 1 600 Kilometer Straßen umgebaut, mit Erfolg. „Mit einer zweispurigen Straße sind bis zu 24 000 Fahrzeuge pro Tag zu bewältigen.“
Monheim sieht die Region Stuttgart als einen „Widerspruch in sich“. „Sie ist so autogerecht, aber trotzdem fahren viele Busse herum.“ Die Vorstellung „im urbanen Zentrum öffentlicher Verkehr, in der Fläche das Auto“ nannte Monheim „einen Denkfehler des Autozeitalters“. Ein weiterer Fehler sei, nur auf den Zuschussbedarf von Bahnen und Bussen zu sehen: „Wie viel Geld investieren die Kommunen in ihre Straßen, ohne einen Euro zurückzubekommen, außer für das Parken?“
Die Alterung der Gesellschaft verlange Konsequenzen, sagte Monheim. Viele Ältere – Stichwort Altersarmut – könnten sich das Auto nicht mehr leisten; für sie sei die nahe Haltestelle sehr wichtig. Ein weiterer Trend sei die Multi- und Intermodalität. Kein „einmal Auto, immer Auto“ mehr, sondern „einmal Auto, einmal Bus, einmal Rad“. In Holland gebe es bei sieben Millionen Einwohnern zwei Millionen Pedelecs, in Deutschland auch schon über eine Million. Nicht nur diese zählt Monheim zur Elektromobilität, auch die Straßenbahn, mit der diese eigentlich begann. Und die Seilbahn: „In Koblenz wurde in nur 13 Monaten eine neue Seilbahn gebaut.“
„Der Schienenverkehr muss die Fläche zurückerobern“, fordert Monheim. Er denkt an leichte, beschleunigungsstarke Elektrotriebwagen in dichtem Takt mit vielen Halten – international als „Light Rail“ bezeichnet. Dass die Elektrifizierung in Deutschland in den 1960er Jahren aufgehört habe, sei ein „Riesenfehler der Verkehrspolitik“ gewesen. Die Schweiz und die Niederlande würden fast durchgängig elektrisch fahren.
Für die erfolgreiche Reaktivierung von Bahnstrecken kennt Monheim in Deutschland 50 Beispiele. „Wir würden 250 brauchen.“ Sein Lieblingsprojekt ist die Usedomer Bäderbahn (UBB). Bei 300 000 Fahrgästen pro Jahr war die Stilllegung geplant. Dann kamen unter regionalem Management neue Züge, restaurierte Bahnhöfe, Personal statt Automaten, die Wiedereröffnung über die Grenze nach Polen. Heute befördert die UBB jährlich fünf Millionen Fahrgäste. Am wirtschaftlichsten sei es, wenn die Bahn zugleich Personen und Güter transportiere. Da unsere Wirtschaft dezentral sei, brauche es dazu ein fein verästeltes Netz.
Dass ein Bürgermeister sich um Schlaglöcher kümmern muss, der Busverkehr aber freiwillig ist, findet Monheim „absurd“. Er plädiert für Stadtbussysteme, die von Schnellbussystemen überlagert werden, nach dem Erfolgsbeispiel von Vorarlberg. Beim Stadtbus Lemgo stiegen die Fahrgäste nach der Neuorganisation von jährlich 80 000 auf zwei Millionen. Nur noch zwölf Prozent fahren zur Ausbildung, jeder vierte Fahrgast zum Einkaufen. In der Uckermark beliefert der Linienbus nebenbei Tante-Emma-Läden, und das dreimal täglich. Was den Radverkehr angeht, riet Monheim zu „einer Spinne von zehn bis 15 Schnellradwegen auf Stuttgart zu“.
Um 15 Prozent wolle die Stadt Kirchheim den motorisierten Individualverkehr senken, sagte der Landtagsabgeordnete Andreas Schwarz (Grüne), der unter den Zuhörern war. Das sei eher wenig, befand Monheim. Da gehe mehr. Doch es komme nicht nur auf die Zahlen an: „Die gleiche Menge Autoverkehr kann verträglich sein oder nicht.“ Ein Positivbeispiel sei die baumreiche Champs-Élysées in Paris.
„Die Stadtplanung hat sich lange nur um die Innenstädte gekümmert“, betonte Monheim. Diese seien in der Region Stuttgart im Krieg meist sehr gut erhalten geblieben. Doch der Weg nach draußen sei oft der kurze Weg „vom Paradies in die Hölle“. Deshalb: „Wir brauchen eine Qualifizierung des Stadtrandes.“
Info
Ein Reaktivierungskandidat ist die Bahnstrecke nach Weilheim. Laut Regionalplan vom Juli 2009 (Seite 238 ff.) sind die Trassen der ehemaligen Strecken Kirchheim – Weilheim und Göppingen – Bad Boll zu sichern und die Einrichtung einer Verbindung Kirchheim – Göppingen zu prüfen.