Vor zehn Jahren geriet er als Cheftrainer des VfL Kirchheim zwangsläufig mit in die Schuldenfalle des Vereins, die 2011 zur Abmeldung der Oberliga-Fußballer vom Spielbetrieb führte. Jetzt ist Rainer Kraft (58) in Ghana der „König der Löwen“. Der gebürtige Stuttgarter befindet sich mit den Accra Lions ungeschlagen auf Höhenflug.
Der Abschied von der Teck war für den ehemaligen Reha-Coach und Physiotherapeuten des VfB Stuttgart der Aufbruch in ein neues Fußballleben. Kraft, seit 2007 ausgestattet mit der DFB-Fußballlehrerlizenz, wandelt bereits vor seiner Zeit in Kirchheim auf den Spuren des inzwischen verstorbenen Fußball-Weltenbummlers Rudi Gutendorf. Im Iran trainierte er gemeinsam mit Landsmann Erich Rutemöller den Spitzenklub Esteghlal FC Teheran. In China war sein Fachwissen nach dem VfL-Debakel genauso gefragt wie in Aserbaidschan, wo er Trainer ausbildete.
Von Asien dann der Sprung nach Afrika. Im August 2019 heuerte Kraft bei den Accra Lions in der Zwei-Millionen-Hauptstadt von Ghana an - ein Glücksgriff für ihn und den Verein. Seine Arbeit trug rasch Früchte und überzeugte die Verantwortlichen. Schon nach kurzer Zeit wurde Cheftrainer Kraft in Doppelfunktion auch noch zum Sportdirektor befördert.
In der ersten Saison machten seine blutjungen „Lions“ (Durchschnittsalter 19,3 Jahre) reichlich Beute, mischten bis zum Lockdown wegen Corona im Kampf um den Aufstiegsplatz mit. Die Saison wurde am 18. März abgebrochen und nicht gewertet. Kraft überbrückte die Zwangspause zu Hause in Stuttgart bei seiner Frau und den drei erwachsenen Kindern.
„Auf ein Neues!“ hieß es nach dem Sommer. Kraft kehrte im Herbst zurück in das Land, in dem das öffentliche Leben trotz Pandemie seinen (fast) gewohnten Gang nimmt. „Es ist alles offen, Gaststätten, Geschäfte, Hotels. Hier wird gesungen und getanzt“, staunt einer, der sich zu Hause an strenge Regeln halten muss. Dafür sind im Fußball in der afrikanischen Hauptstadt andere Dinge gewöhnungsbedürftig. So beginnt die erste Trainingseinheit wegen großer Hitze um die 35 Grad und hoher Luftfeuchtigkeit bereits um 7 Uhr morgens. Hungrige Hühner pflegen den spärlichen Rasen auf dem sandigem Platz. Das Spielfeld ist eingezäunt, wie überall in der Liga. Kraft: „Afrikanische Fans sind heißblütig. Hin und wieder kommt es zu Ausschreitungen. Bei uns ist zum Glück noch nichts passiert.“ Bei der Erfolgsbilanz der Lions bestand bisher auch kein Anlass dafür: Zehn Spiele, sieben Siege, drei Unentschieden - Fußballerherz, was willst du mehr?
Die Ausbeute stimmt, die Spielweise lässt noch zu wünschen übrig. „Kicken können sie alle. Afrikanische Fußballer sind Dribbler vor dem Herrn. Aber in Sachen Taktik besteht noch großer Nachholbedarf“, sagt der Coach aus Germany. Abgesehen davon haben die Lions ein paar Talente hervorgebracht, die in anderen Ländern Karriere machen. Zwei in der Slowakei, zwei in Malaysia beim Spitzenklub FC Selandor. Für diese Transfers spielten alte Verbindungen die entscheidende Rolle. Der dortige Sportdirektor Michael Feichtenbeiner, sein Cheftrainer Karsten Neitzel und Rainer Kraft standen einst alle bei den Stuttgarter Kickers unter Vertrag.
Sollte der Aufstiegstraum für die Lions in Erfüllung gehen, werden die Fußballfans ihren „King Rainer I.“ aus dem Schwabenland wohl auf den Schultern durch Accra tragen.