Kirchheim. Wer arbeitet, der darf auch feiern: Nicht nur der Weinanbau, auch Weinfeste sind in Kirchheim über Jahrhunderte überliefert. Berühmt wurde beispielsweise das „Winzerfest“, das Herzogin Henriette im Jahr 1852 anlässlich des Besuchs der Königsfamilie von Hannover am höchsten Punkt der Alten Plochinger Steige ausrichten ließ. Dort soll der Lieblingsplatz der Herzogin gewesen sein.
Lieblingsplatz der aktuellen Weindorfwirte Michael Holz, Robert Ruthenberg, Walter Brackenhammer und Uwe Burk ist wohl eher der Rollschuhplatz. „Das ist optimal: Bei schönem Wetter kann man nicht nur in und an den Lauben, sondern auch auf den Stufen sitzen. Außerdem stellt die Stadtmauer eine tolle Kulisse dar – deswegen beleuchten wir sie auch seit einigen Jahren“, schwärmt Michael Holz. Er hat dem Weindorf im Verbund mit anderen im Jahr 2001 neues Leben eingehaucht und es zwischenzeitlich zur fünften Kirchheimer Jahreszeit gemacht. Die Anfänge des modernen Weindorfs auf dem Rollschuhplatz reichen jedoch bis ins Jahr 1989 zurück. Immerhin ein ganzes Wochenende lang dauerte das erste Weindorf.
Mittlerweile umfasst die Veranstaltung ganze 17 Tage und ist zu einer echten Kirchheimer Marke geworden. „Das Weindorf läuft immer in den Sommerferien, da ist rundherum weniger los, und die Leute strömen bei gutem Wetter geradezu nach Kirchheim“, weiß Michael Holz aus nunmehr langjähriger Erfahrung. Kulinarische Verlockungen und edle Tröpfchen sind selbstverständlich. „Für jeden Weingaumen findet sich der richtige Tropfen“, versprechen die Wirte, die sich als „Weindorfgemeinschaft“ bezeichnen. Dazu gibt‘s an Gaumenfreuden alles, was zum Wein gut schmeckt.
Doch damit nicht genug: Längst ranken sich auch Veranstaltungen rund um die Lauben. So bietet zum Beispiel Andreas Kenner immer dienstags ab 16.30 Uhr eine launige Führung durch Kirchheim an, die beim Weindorf startet und sich intensiv mit dem Thema Wein auseinandersetzt. Kein Wunder, dass das Ganze fast immer in weinseliger Runde wieder da endet, wo es angefangen hat: auf dem feschtleserprobten Rollschuhplatz. Zur „Weindorffamilie“ gehört auch Barde Lothar Wolf, der täglich außer sonntags mit seinem Akkordeon für Stimmung sorgt. Hin und wieder wird‘s sogar ausgesprochen ernsthaft im Schatten der alten Kastanien: So fand zum Beispiel ein Vortrag zum Thema Demenz auf dem Weindorf statt.
Dass es rundum einigermaßen ruhig zugeht, dafür sorgt an den Wochenenden die „Weindorfpatrouille“. Michael Holz betont allerdings, dass diese mehr den Zaungästen rundherum gilt. Auf dem Weindorf selbst sei es bislang nie zu nennenswerten Reibereien gekommen. „Weinlaune ist einfach etwas anderes als Bierstimmung“, lautet seine Erklärung. – Holz muss es wissen, hat er doch auch schon als Festzeltwirt Erfahrungen gesammelt. Möglicherweise liegt‘s auch daran, dass das Durchschnittsalter der Weinfreunde doch etwas höher ist als jenes in so manchem Bierzelt auf dem Wasen. Nicht umsonst reimte schon Wilhelm Busch: „Rotwein ist für alte Knaben eine von den besten Gaben!“ Auf dem Weindorf ist jedenfalls Bier so ziemlich das Einzige, was es nicht gibt.
Doch auch am Wein scheiden sich bekanntlich die Geister. Alten Traditionen verpflichtet versuchen‘s die Wirte immer wieder mit heimischen Trauben. So wird heuer unter anderem ein Silvaner vom Weingut Dolde in Linsenhofen so manche trockene Gurgel benetzen. „Allzu stark nachgefragt sind Silvaner oder auch Müller-Thurgau derzeit nicht“, meint Michael Holz allerdings mit gewissem Bedauern, „Die Kunden fahren eher auf die italienischen und spanischen Weine ab.“
Mag sein, dass viel noch an uralten Vorurteilen liegt. So heißt es doch in der Oberamtsbeschreibung aus dem Jahr 1842, der Wein, der auf Kirchheimer Markung wachse, sei von „mäßiger Qualität“. Dennoch floss der sprichwörtliche „Semsakrebsler“ reichlich durch die Kehlen. Obwohl die hiesigen Weine längst in der obersten Liga mitspielen, gehören sizilianischer Itynera oder navarrischer Oromonte zum unverzichtbaren Weindorfangebot.
Doch im Wein liegt Wandel. Gute Erfahrungen haben Holz und seine Mitstreiter beispielsweise mit einem Trollinger mit Lemberger gemacht, der leicht gekühlt auf dem Weindorf aus dem Fass fließt, Herkunftsort Fellbach. Außerdem gibt‘s in der Laube am Abend vor dem Weindorf immer eine kleine Weinprobe für die Helferinnen und Helfer. – Fachkundiges Personal ist schließlich die halbe Miete. So erzählt Holz von einem erfrischenden Weißherbst aus dem Badischen Opfingen, der auch die Skeptiker im Handumdrehen überzeugt, wenn sie erstmal dafür gewonnen werden können.
Was getrunken wird, richtet sich auch nach dem Wetter: Wärmt die Sonne bis in die Abendstunden, darf‘s ruhig auch mal ein erfrischender Schillerwein sein, wird‘s kühler, rückt man gern bei einem samtig-würzigen Tempranillo zusammen. Apropos zusammenrücken: 1 200 Plätze bieten die Lauben auf dem Rollschuhplatz. „Bei schönem Wetter sind hier gut und gerne mal 1 400 Personen versammelt“, meint Michael Holz. Entsprechend gründlich muss die Sache vorbereitet sein. Improvisieren geht schon lange nicht mehr. Wochen bevor der erste Weindorfkorken knallt, sind die Wirte schon emsig am Werkeln. Rettungswege werden ausgeschildert, Gefahrenstellen mit dem Stadtbrandmeister inspiziert, Notstromaggregate positioniert, Rundgänge mit dem Ordnungsamt anberaumt und vieles andere mehr.
Dass sich der Aufwand lohnt, steht außer Frage. Firmen, Vereine, Familien, Jahrgänge oder Freundeskreise kommen jedes Jahr wieder. Und das beste daran: „Beim Weindorf mischen sich die Generationen“, freut sich Holz. Dank barrierefreiem Zugang ist auch so mancher Rollator im Gedränge anzutreffen. Seit die S-Bahn Kirchheim ansteuert, hat das Weindorf auch regelmäßig Zuwachs aus dem Dunstkreis der Landeshauptstadt zu verzeichnen.
Das Kirchheimer Weindorf auf dem Rollschuhplatz ist vom morgigen Donnerstag, 2. August, bis Sonntag, 19. August, täglich ab 17 Uhr geöffnet. Reservierungen werden in der Bärenlaube unter der Nummer 01 79/6 73 15 21 entgegengenommen, in der Weinlaube unter 01 76/78 71 01 56 und in der Wilder-Mann-Laube unter 01 51/51 40 44 99. Die offizielle Eröffnung übernimmt Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker morgen um 18 Uhr. Alle Termine sowie die wechselnde Tageskarte gibt es auf www.weindorf.tv.