Kirchheim. Dass das Mehrgenerationenhaus Linde in Kirchheim genutzt wird, um im Kreis der Familie und mit Freunden Geburtstag zu feiern, kommt öfter vor. Dass dort
Wolf-Dieter Truppat
ein Klubmitglied zum runden Geburtstag mit einem Turnier geehrt wird, ist schon deutlich seltener. Wenn es sich bei dem Veranstalter des Turniers um einen Bridge-Klub und bei dem „Geburtstagskind“ um eine geborene Hamburgerin handelt, die schon seit 40 Jahren in Ochsenwang lebt, wird das Ganze wirklich ungewöhnlich.
Lotte Eisenmann ist leidenschaftliche Autofahrerin und wäre daher beim Trip nach Kirchheim am liebsten selber am Volant gesessen, denn die bis vor Kurzem noch genossene Freiheit auf vier Rädern fehlt ihr doch sehr. Da es aber ihr 100. Geburtstag ist, der nach einem Empfang im Familienkreis gestern noch im Kreis der Klubmitglieder ausgiebig gefeiert wurde, durfte die Tochter ans Steuer. Schließlich will die begeisterte Automobilistin ja nicht ihren schon über 70 Jahre gültigen Führerschein riskieren.
Als die betagte Lotte Eisenmann in der Linde ankam, wurde sie von allen herzlich empfangen. Die für das Bridge-Turnier vorbereiteten Tische blieben aber noch längere Zeit verwaist. Zuerst versammelte sich die muntere Runde im Nebenzimmer, wo zunächst mit einem Sektempfang auf den 100. Geburtstag und auf die 20-jährige Klub-Mitgliedschaft angestoßen wurde.
Nachdem alle gratuliert, launige Reden und Gereimtes zum Besten gegeben und Blumen und andere Präsente überreicht hatten, folgte eine Kaffeerunde. Dann ging es aber doch noch an die Spieltische, und Lotte Eisenmann war froh, dass sie nicht mehr ganz so im Mittelpunkt stand und sich endlich wieder auf das geliebte Kartenspiel konzentrieren konnte, das vermutlich wesentlich dazu beigetragen hat, dass sie auch am 100. Geburtstag noch alles voll im Griff hat.
Das Licht der Welt erblickte Lotte Eisenmann, geborene Blaumann, in Hamburg, wo sie mit einem Bruder und zwei jüngeren Schwestern aufwuchs. Nach dem Besuch des Lyzeums absolvierte sie eine kaufmännische Ausbildung und war als Sekretärin tätig. Da ihre Cousine Journalistin war, hatte die Jubilarin schon früh Gelegenheit, interessante Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens kennenzulernen und auch am gesellschaftlichen Leben in Hamburg teilzunehmen. Beim Hamburger Presseball lernte sie 1937 ihren späteren Mann kennen, mit dem sie nach Berlin und 1944 nach Münsingen zog, wo er herstammte.
Die nächste Station war Stuttgart, wo ihr Ehemann im Landwirtschaftsministerium arbeitete, bevor er später zur Hofbräu AG in die freie Wirtschaft wechselte. Lotte Eisenmann, die schon immer sehr gesellig war, kam den mit der beruflichen Tätigkeit ihres Mannes verbundenen Repräsentationspflichten immer gerne nach. Sie liebte ihren Garten und war es gewohnt, immer wieder Gäste zu bewirten und Empfänge vorzubereiten. Als ihr Ehemann in Rente ging, sehnte er sich nach dem Leben auf der Schwäbischen Alb, und der Zufall führte das Ehepaar 1973 nach Ochsenwang, wo Lotte Eisenmann eine neue Heimat fand. Auch nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1987 wollte sie die lieb gewordene Umgebung und vor allem ihren schönen Garten nicht mehr verlassen.
Richtig heimisch ist sie dort aber nie geworden. Nachdem sie schon 1943 als 30-Jährige ihren Führerschein gemacht hatte, konnte sie das Leben in der Natur und Ausflüge in die Urbanität ideal verbinden. Da ihre Tochter Barbara mit ihrem Mann 26 Jahre in Brasilien, drei Jahre in Kolumbien und zwei Jahre in Melbourne gelebt hatte, konnte sie immer wieder auch spannende Reisen unternehmen. Als die beiden nach Deutschland zurückkehrten und eigentlich irgendwo im Bayrischen wieder ihre Zelte aufbauen wollten, bot Lotte Eisenmann ihnen an, in das für sie allein viel zu große Haus zu ziehen, das 1997 entsprechend umgebaut wurde.
Obwohl sie mit Tochter und Schwiegersohn unter einem Dach lebt, führt sie noch immer ein weitgehend eigenständiges Leben, zu dem bis vor wenigen Monaten auch noch die Mobilität des eigenen Autos zählte.
Lotte Eisenmann ist froh, wenn der lange Winter endlich vorbei ist und sie wieder in ihren Garten kann. Darüber freuen sich auch die beiden Hunde „Charly“ und „Krümel“ gemeinsam mit der Katze „Mischi“ – beziehungsweise „Maya“ – wie die Tochter sie tatsächlich getauft hat. Sie sorgen dafür, dass es der Jubilarin nie langweilig wird – auch ohne Orchideenpflege, zwei wöchentlichen Bridge-Terminen und „dem bisschen Haushalt.“