Die Ehefrau hält zu Hause in Dettingen an der Erms die Stellung. Die beiden Jungs kicken beim VfL Kirchheim, Raul in der U 19, Robin in der U 17. Der Vater war zwischen 1990 und 1994 ebenfalls ein „Blauer“, als der Verein noch bessere Zeiten in der Amateur-Oberliga erlebte. Seit einem Jahr ist Francisco „Paco“ Vaz (46) weit, weit weg von der Familie und erlebt als Trainer in China sein größtes Fußball-Abenteuer - wie eine Bootsfahrt von der Lindach an den Jangtsekiang, dem drittgrößten Strom der Erde.
Gemeinsam mit seinem schwäbischen Landsmann Dirk Mack (52) aus Löchgau coacht der gebürtige Reutlinger die chinesische Spitzenmannschaft Shandong Luneng Taishan in der Super League. Die ersten Kontakte erfolgten Ende 2019, als Mack, leitender Verbandssportlehrer beim WFV und Nachwuchsdirektor bei der TSG Hoffenheim, im Reich der Mitte Vorträge zum Thema Talententwicklung hielt. Die Macher des Vereins waren begeistert und machten ihm unmittelbar nach der Rückkehr ein verlockendes Angebot. Mack schloss sich kurz mit Vaz, damals Assistent des glücklosen Nico Willig beim VfB Stuttgart. „Ich kenne Paco schon lange und schätze ihn als akribischen Arbeiter“, sagt er. Sie holten Rat bei Felix Magath, der das Spitzenteam im Reich der Mitte von Juni 2016 bis Dezember 2017 trainiert hatte. Sein „Daumen hoch“ beseitigte die letzten Zweifel an einem Wechsel in die 9,5-Millionen-Stadt Jinan, 400 Kilometer südöstlich von Peking.
Alles ist gigantisch
Die ersten Eindrücke: Alles so gigantisch wie die Einwohnerzahl. Eine Infrastruktur auf allerhöchstem Niveau. Das Trainingszentrum des Vereins am Stadtrand hat sieben Plätze, ein überdachtes Spielfeld, Hallenbäder und einen Wohnkomplex für Spieler und Trainer. Vaz: „Wenn ich einmal ums Gelände jogge, brauche ich eineinhalb Stunden.“
Doch die Saison begann mit einem Fehlstart. Eigentlich hätte sie am 22. Februar starten sollen. Nach dem heftigen Corona-Ausbruch in Wuhan wurde der Auftakt auf Juli verschoben. Für alle 16 Elite-Teams, aufgeteilt in zwei Achtergruppen, folgte das größte Trainingslager aller Zeiten: Spieler, Trainer, Betreuer waren 70 Tage in abgeschotteten Hotels ohne Kontakt nach draußen. Insgesamt lebten 1870 Personen in dieser zehnwöchigen „Fußball-Blase“. Mit 154 Tagen Verspätung dann endlich am 26. Juli der Start in die Liga, wegen Corona wie in Deutschland ohne Zuschauer. Erst später durfte wieder eine kleine Anzahl Fans ins Jinan Olympic Stadium mit seinen 57 000 Plätzen. Für die fußballbegeisterten Chinesen ebenso schwer erträglich wie die Fan-Ausschlüsse in der Bundesliga.
Vertrag bis 2022 plus Option
Der viermalige chinesische Meister und fünfmalige Pokalsieger mit seinen europäischen Stars Marouane Fellaini aus Belgien und Graziano Pelle (Italien) qualifizierte sich als Dritter der Vorrundengruppe für die Meisterrunde mit Hin- und Rückspielen. Die erste Hürde Hebei Fortune (2:2, 6:3 nach Verlängerung) wurde genommen, an Peking Guoan (2:2, 1:2) blieb Shandong hängen. Schließlich sicherte das Team gegen Chongqing Lifan (3:4, 2:1) aufgrund der mehr erzielten Auswärtstore im Endergebnis Platz fünf. Fazit von Dirk Mack: „Wir haben ein paar richtig gute Kicker im Kader. Aber bei der Robustheit im Zweikampf, im taktischen Bereich und im Durchsetzungsvermögen gibt es noch Luft nach oben.“ Vaz und Mack haben noch ein Jahr Zeit, diese Defizite abzustellen. Ihr Vertrag läuft bis 2022 mit Option auf Verlängerung.
Ob sie Weihnachten mit den jeweiligen Familien zu Hause in Dettingen und Löchgau feiern können, hängt vom Abschneiden im Pokalwettbewerb ab. Die Chancen auf eine rechtzeitige Rückkehr sind gering: Erster Gegner am kommenden Sonntag ist das Zweitligateam Zhejiang Energy Greentown aus Hangzhou.