Kirchheim. Die Idee von Dr. Thomas Schmidt, Leiter der Arbeitsstelle für literarische Museen, Archive und Gedenkstätten in Baden-Württemberg, ist einfach und dennoch – oder gerade deswegen – ungemein erfolgreich: „Literarische Radwege sollen – zumeist orientiert an bereits erschlossenen Routen – die Landkarte Baden-Württembergs auf neue Weise erfahrbar machen.“
Mit detaillierten Streckeninformationen und literarischem Hintergrundwissen aufwartende Info-Broschüren führen passionierte Pedaleure und literaturbegeisterte Genussradler gleichermaßen zu den vielen interessanten Literaturmuseen und -gedenkstätten des Landes und besuchen auch Handlungsorte literarischer Texter und wichtige Schauplätze der südwestdeutschen Literaturgeschichte.
Im Juni 2008 wurde der erste der damals geplanten acht literarischen Radwege in Baden-Württemberg eröffnet. Er führte von Hölderlins Geburtsstadt Lauffen am Neckar über Brackenheim, Cleebronn, Bönnigheim und Kirchheim am Neckar zurück zum Ausgangspunkt. Für das Projekt „Per Pedal zur Poesie“ wurde die Marbacher Arbeitsstelle für literarische Museen in Baden-Württemberg schon zwei Jahre später ausgezeichnet. Unter der Schirmherrschaft des damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler wurden damals Orte in den Mittelpunkt gestellt, „die außergewöhnliche Ideen repräsentieren und die Zukunft Deutschlands aktiv gestalten.“
Dieses „aktiv Gestalten“ nehmen die Marbacher Radwege-„Macher“ momentan ganz besonders ernst. Nach dem Rundkurs um die Nachbarstadt Nürtingen wird am Sonntag, 10. Juni, um 9.30 Uhr schon der neunte literarische Radrundweg offiziell eröffnet. Treffpunkt für alle gleichermaßen umworbenen Freunde der Literatur und des Radwanderns ist das Geburtshaus von Max Eyth, das Besucher der Stadt mit einem interessanten und viel beachteten Literaturmuseum überraschen kann. Schon am 15. Juli steht dann die Einweihung des nächsten literarischen Radwegs rund um die Hesse-Stadt Calw auf dem Programm.
Neben Dr. Thomas Schmidt, der das Erfolgsprojekt „Per Pedal zu Poesie“ angestoßen hat, wird am kommenden Sonntag auch sein sich gleichermaßen für Radtour und Literatur begeisternder Kollege Bernhard Möbs nach Kirchheim kommen, der für die fundierten Texte der jeweiligen Streckenkarten verantwortlich zeichnet. Nach der offiziellen Einweihung, werden sie gemeinsam mit allen interessierten Teilnehmern der Premierenfahrt gegen 10.30 Uhr die rund 60 Kilometer lange Strecke in Angriff nehmen.
Von den anderen vorwiegend eher geruhsamen literarischen Radrundfahrten unterscheidet sich die Kirchheim-Route durch die am Albaufstieg „drohende“ Bergprüfung. Sie lässt sich nun einmal nicht vermeiden, wenn man mit dem Rad von Max Eyths Geburtsort Kirchheim auch noch zu Eduard Mörikes Wirkungsstätte Ochsenwang und die für ihn im Mörikehaus eingerichtete Erinnerungsstätte auf der Schwäbischen Alb fahren möchte. Am Start stehen aber Test-Pedelecs zur Verfügung und der Albaufstieg kann mit einem Sonderbus bewältigt werden.
An der Deula und am Segelfluggelände Hahnweide vorbei geht es zunächst eher gemütlich auf der von vielen Teckboten-Radlertouren bewährten landschaftlich schönen Strecke über Dettingen nach Owen. Dort ist der „Bauernkriegs-Zimmermann“ begraben, dessen emanzipatorisches Geschichtsbild unter anderem auch Rosa Luxemburg beeinflusste, und Eduard Mörike hat auch dort eine Weile gewohnt und gewirkt. Die Teilnehmer der Premieren-Radtour legen hier die erste kurze Pause ein und haben Gelegenheit, die schön restaurierte Bernhardskapelle zu besichtigen.
Über Brucken geht es auf Radwegen weiter bis Lenningen, wo die größte Herausforderung des neunten Weges „Per Pedal zur Poesie“ lauert – wenn man nicht den für diesen kurzen aber steilen Streckenabschnitt bereitstehenden Sonderbus nutzten möchte. Auf der alten Gutenberger Steige ist Kondition gefragt – oder aber ein E-Bike, das mithilft, den Albaufstieg über die 5,4 Kilometer lange Strecke mit einer Steigung von neun bis zwölf Prozent „aus eigener Kraft zu bezwingen“. Zur Not kann man aber auch ein Stück weit das Rad schieben und das Wort „Radwanderung“ – zumindest auf diesem Streckenabschnitt – ganz wörtlich nehmen.
Die Strapazen der Nicht-Busfahrer sind aber schnell wieder vergessen. Zur nächsten Informations- und Erholungspause im Naturschutzzentrum Schopflocher Alb ist es nur noch ein Katzensprung. Belohnt wird der Besuch dort durch die neu eingerichtete Ausstellung im Museumsanbau und Informationen über Ausflüge in die nähere Umgebung des Naturschutzzentrums. Nächste Station für längeres Verweilen ist dann das Mörikehaus und das kleine Kirchlein in Ochsenwang. Dort hatte Eduard Mörike einst mit seinem „Maler Nolten“ seine erste eigenständige Veröffentlichung zum Druck gebracht.
Den rasantesten Streckenabschnitt des literarischen Rundkurses bildet die sich anschließende Fahrt nach Hepsisau über eine 5,7 Kilometer lange Steige mit einem Gefälle von acht bis zehn Prozent. Von Weilheim, wo Eduard Mörike einst als Vikar tätig war, geht es dann ins „Schwäbische Lourdes“ Bad Boll: „Hierher pilgerte die mondäne Welt zu den charismatischen Heilpfarrern Blumhardt, Vater wie Sohn. Neben Hermann Hesse und Gottfried Benn suchten auch die Vorbilder literarischer Figuren Theodor Fontanes und Thomas Manns hier Rat und Heilung“.
Nach dem Besuch in Blumhardts berühmtem Literatursalon führt die Strecke über Pliensbach, Zell und Ohmden durch das malerische Wiestal zurück nach Kirchheim, wo am Literaturmuseum am Max-Eyth-Haus die fast 60 Kilometer lange aber kurzweilige und meist bequeme Strecke endet. Wer bei dieser abwechslungsreichen kostenlosen Tour durchs Literaturland Baden-Württemberg Lust auf mehr bekommen und vor allem auch das aufwendig gestaltete Faltblatt genossen hat, das – der Literatur angemessen – das gedruckte Wort und das gestaltete Papier in den Mittelpunkt stellt, kann sich unter www.literaturland-bw.de umfassend über die drei neuen, direkt vor der Haustüre liegenden oder auch über die etwas entfernteren literarischen Radwanderungen informieren.