Literarisch anspruchsvoller Bildungsnonsens mit „Helge und das Udo“ in der Kirchheimer Stadthalle
Von Shakespeare bis zu Che Guevara in Havanna

Kirchheim. Helge Thun und Udo Zepezauer sind immer wieder für Überraschungen gut, das haben sie über die vielen Jahre ihrer gemeinsamen Bühnenpräsenz hinweg nachhaltig und doch immer wieder neu

unter Beweis gestellt. Zum Kreis derer, die mit allem rechneten, nur nicht damit, dass ihr Auftritt in der Stadthalle tatsächlich schon um 18 Uhr beginnt, gehörten sie dann allerdings auch selbst.

Trotz zunächst noch verschlossenen Saaltüren und dichtem Gedränge im Foyer kam aber keine unnötige Ungeduld auf, sondern eher der Verdacht, dass das Warten schon Teil des Programms sein könnte. „Sonst macht’s ja keiner“ lautet schließlich der Titel des neuesten Programms von „Helge und das Udo“, die sich zum Ziel gesetzt haben, Dinge zu wagen, die sonst niemand macht – zumindest nicht in dieser Konsequenz und in einer den gesamten Abend quer über alle Genregrenzen hinwegspringenden Ausschließlichkeit. Komödiantischer Mainstream sieht tatsächlich anders aus. Einen ganzen Abend lang gegen den Strich zu bürsten und doch niemanden im Publikum zu verlieren, das können nur Könner, und das sind die beiden kongenial kooperierenden Künstler zweifellos.

Die enorm wandelbaren und vielseitigen Bühnenprofis zogen alle Register, bedienten jeden Geschmack, wagten sich mit Klassikern der Weltliteratur – die sie in drei Minuten wegreimten – auf höchstes literarisches Niveau, und schreckten auch vor grandiosem Blödsinn nicht zurück. Ihre virtuosen Wortspielereien und eindrucksvollen Improvisationen sorgten für gute Laune und kaschierten gekonnt, wie viel Arbeit und Mühe hinter diesem zweieinhalbstündigen Marsch durch alle Höhen und Tiefen des Humors stecken. Alles wirkte tatsächlich genau so, als wollten beide nur spielen . . . – kein Grund zur Sorge also –, und genau das übertrug sich von Beginn an auf das entspannte und doch auch begeistert mitgehende Publikum.

In der Mitte eines mehr als munteren Abends plötzlich morbide Gesänge anzustimmen, ohne Angst haben zu müssen, dass die makaberen Weisen die zwerchfellstrapazierende Stimmung abrupt abfallen lassen, das kann nicht jeder. Helge und das Udo hatten keine Probleme damit, aber sie hatten ihr Publikum ja auch von Anfang an voll im Griff. Wer Helge Thun am Vormittag auf SWR 3 gehört hatte, wusste beispielsweise, dass die dem Publikum überlassene Wahl zwischen „Hamlet“ und „Romeo und Julia“ eigentlich gar keine ist. Bei der Frage, ob „Hamlet“ oder „Romeo und Julia“ in Reime gepackt auf die Bühne gestellt werden soll, entscheidet sich das Publikum schließlich immer für das tragische Liebespaar. Von Helge und dem Udo in Szene gesetzt, wird dieses Juwel der Weltliteratur dann extrem verdichtet und in immerhin nur drei Minuten zur Freude des Publikums in rasenden Reimen durch unterschiedlichste Versmaße gepresst, weil genau das ja sonst keiner tut.

Dass der große schlanke Hochsprachler aus dem Norden und der etwas kürzere schwäbische Vollblutschauspieler und Sänger so perfekt harmonieren, kommunizieren und auch gemeinsam musizieren, ist eigentlich kaum vorstellbar. Trotzdem scheitern die unterschiedlichen hyperhumoristischen Comedians ausgerechnet nur dabei, sich absichtlich missverstehen zu wollen.

Dass Helge gleich zu Beginn „das Udo“ als Gitarre nutzte, war harte aber unverklampfte Akkordarbeit und so grotesk wie genial umgesetzt, dass sich Udo gleich noch ein Loch in den mit Texten gefüllten Schwangerschaftsbauch freuen durfte. Dass dabei auch das Thema Luftgitarre kurz gestreift wurde, setzte erste vielversprechende Duftmarken und wurde den mutigen Humorexperimenteuren keinesfalls verübelt. Wie demonstriert, darf Humor schließlich nicht „zu verkopft“ sein und muss aus dem Bauch kommen.

In einer facettenreichen Inszenierung, die sich auch vor den Niederungen des Humors und der Wortakrobatik nicht scheut, wagten sich die beiden Verseschmiede vor der Pause auch noch auf das ungemein schwierige Terrain des Ausdruckstanzes. Nach mutwillig zerreimter Weltliteratur und kuriosen Kalauern wollten sie der Sprachkunst auch noch ein ästhetisches Gegengewicht geben, um ein von der gnadenlosen Schönheit anmutiger Tanzbewegungen begeistertes Publikum mit einem ersten furiosen Finale in die Pause zu entlassen.

Was gut begonnen hatte, steigerte sich im zweiten Teil noch weiter. Minutenlange Dialoge, deren gesamtes Wortmaterial jeweils mit demselben Buchstaben beginnen musste, machten sprachlos. Sie erzählten beispielsweise die stimmige Geschichte eines gnadenlosen Duells, das mit einem „Durchschuss direkt durch den Dünndarm“ tragisch endet. Zunehmend blitzten neben den souverän beherrschten Tätigkeitsfeldern Moderator, Schauspieler, Komiker, (Ausdrucks-)Tänzer und Zauberer auch die nachhaltig unter Beweis gestellten Fähigkeiten als Sänger und Musiker immer stärker durch.

Zu guter Letzt wurde es auf den Spuren von Che Guevara sogar noch höchst politisch. Wann genau und mit wem der nun in Havanna war, wurde dann aber doch nicht mehr abschließend geklärt, zuvor aber noch rastlos durch die Gegend gerappt. Was für eine schwere Geburt hinter jeder Szene und den Einfällen steckt, wurde schon früh am Abend mit dramatischem Ganzkörpereinsatz vorgespielt.

Das Publikum dankte mit viel Applaus für einen kunterbunten Abend und die mit allergrößtem Vergnügen durchlittenen Mühen und Qualen der nach einer erfolgreich überwundenen Schreibblockade gefeierten Geburt eines gesunden Textes.