Kirchheim. Mit einem völlig neu daherkommenden Literaturcafé wurden beim jüngsten Abend im Buchhaus Zimmermann alle an Neuerscheinungen interessierten Bücherfreunde überrascht. Nach einer
strengen Auslese literarischer Leckerbissen gab es zum fulminanten Finale auch noch kulinarische Köstlichkeiten.
Die vorbereitete Lektüreliste war dabei überschaubar wie nie zuvor. Dr. Zimmermann relativierte zunächst die legendäre Zahl der Neuerscheinungen. Zu den kolportierten 90 000 Titeln würden schließlich auch von DIN-Normen für Schrauben und Muttern handelnde Bücher zählen, die zwar gute Zahlen schreiben, keinesfalls aber spannende Lektüre versprechen. Sortimentsbuchhändler müssen naturgemäß streng sortieren und das wurde auch getan. Übrig blieben 21 Titel, die subjektiv erprobtes Lesevergnügen verbindlich versprechen konnten.
Gastgeberin Sibylle Mockler eröffnete den Reigen mit zwei Romanen zum Thema Integration. Melinda Nadj Abonjis stark autobiografischer Roman „Tauben fliegen auf“ erzählt vom Leben im Niemandsland zwischen der verlassenen Heimat Serbien und der trotz allem Integrationswillen nie erreichten reichen Schweiz. Als „eines der schönsten Bücher dieses Herbsts“ bewertete sie Colm Toibins „Brooklyn“, das meisterhafte Portrait einer Frau, die Irland den Rücken kehrt und in Amerika Fuß fassen kann. Mit Rolf Dobellis „Massimo Marini“ hat Monika Graeff ein als „Thriller von der Wucht einer griechischen Tragödie“ gelobtes Buch ausgewählt, das vom kometenhaften Aufstieg eines Einwandererkindes handelt, das am Ende vor einem Scherbenhaufen steht.
Cornelia Beck entschied sich mit John Boynes „Das Haus zur besonderen Verwendung“ für einen Fiktion und Realität mischenden „wunderbar gelungenen Roman“ über die jüngste Tochter des letzten russischen Zaren. Vermeintlich leichte Kost, die schwer im Magen liegt, entdeckte Gaby Ensinger in Hermann Kochs Roman „Angerichtet“. Während zwei arrivierte Paare sich auf die Rituale eines Sterne-Restaurants konzentrieren, werden sie mit einer brutalen Straftat konfrontiert, die ihre Söhne verübt haben. Maxi Neumann stellte der Frage, wie weit die Liebe zwischen Eltern und Kindern gehen darf, mit Matt Haigs „Die Radleys“ eine Vampirfamilie gegenüber, die sich „mit ganz normalen Ehe- und Pubertätsproblemen“ herumschlagen muss.
Stefanie Portner war sich ihrer Sache ganz sicher. Die von ihr selbst vorgegebenen Gründe gegen die vorgeschlagene Lektüre wischte sie mit einem fundierter Indizienbeweis vom Tisch und untermauerte damit ihre Überzeugung, Judy Blundells „Die Lügen, die wir erzählten“ müsse man einfach lesen. Kein Weg führte auch an ihrer Empfehlung von David Grossmans „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“ vorbei. Erzählt wird eine unter die Haut gehende Geschichte, die dem Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels half, die Trauer über den gewaltsamen Tod seines Sohnes zu verarbeiten.
Ihr „Ehrenwort“ gab Tina Drexler, dass es „Serientäterin“ Ingrid Noll einmal mehr gelingt, bitterböse Geschichten und berührende Momente gekonnt zu verbinden. Was zunächst wie eine Familienidylle wirkt, spielt gekonnt mit vielerlei Geheimnissen und überschreitet im Dreigenerationenhaushalt rasch die Grenze zum Verbrechen. Fasziniert war sie von Rita Falks vielversprechendem Erstling „Winterkartoffelknödel“. Was sich in einer Familie in Niederkaltenkirchen abspielt, die im Lauf der turbulenten Handlung durch aberwitzige Todesfälle ausgelöscht wird, kann tatsächlich nur begeistert verschlungen oder aber rasch wieder beiseite gelegt werden.
Paul McEuens amerikanischer Wissenschafts-Thriller „Spiral“ rundet mit spannenden und vor allem auch gut lesbaren Einblicken in die Nanotechnologie und Mikrobiologie ihre Liste ab. Bevor Ruben Schömers zu zwei Biografien überleitete, warb er für Don Winslows „Tage der Toten“. Der trotz aller Brutalität anspruchsvolle Thriller erzählt die Geschichte des Drogenkrieges im mexikanisch-amerikanischen Grenzgebiet.
Fasziniert war der Buchhändler auch von Claude Lanzmans „Der patagonische Hase“. Der Journalist und Dokumentarfilmer, der mit dem Film „Shoah“ eine der eindrucksvollsten Dokumentationen über den Völkermord an den Juden gedreht hat, gewährt dort interessante Einblicke in sein facettenreiches Leben. Tom Segev begeisterte ihn mit „Simon Wiesenthal“ vor allem durch seinen souveränen Umgang mit einer voller Widersprüche steckenden Persönlichkeit. Der Autor stelle dessen große Verdienste heraus, vergesse dabei aber auch nicht seine Schwächen und habe dem Holocaust-Überlebenden damit ein differenziertes und vielschichtiges Denkmal gesetzt.
Horst Zimmermann war es ein wichtiges Anliegen, mit Olaf B. Raders „Friedrich II“ noch einmal an den Abend mit einem der besten Kenner der Quellen über den „Sizilianer auf dem Kaiserthron“ zu erinnern. Hans Küngs in Buchform vorliegender Forderung „Anständig wirtschaften“ und Berthold Leibingers „Wer wollte eine andere Zeit als diese“ lauteten seine in zwei interessanten persönlichen Begegnungen mit den Autoren vertieften Empfehlungen. Bertold Leibinger, der mit „Trumpf“ eine kleine Firma zum Weltunternehmen machte, ist für ihn ein Unternehmer, „der im Grunde das lebt und praktiziert, was Küng fordert“. Leibingers höchst lesenswert geschriebenen Lebenserinnerungen sind für den Buchhändler zugleich auch „eine spannende Geschichte des Maschinenbaus der letzten 60 Jahre“.
Mit dem opulenten Bildband „Mahlzeit“ lud Simone Schey dann zu einer vergnüglichen Reise „Auf 80 Tellern um die Welt“, bevor sie als ganz besonderen Leckerbissen noch Jane Christmas „Reisen mit Mama“ empfahl. Diese Italiensafari verspricht trotz mitreisender Herzmedikamente, Gesundheitsschuhe, einem roten Rollator und einer ordentlichen Prise Altersstarrsinn nicht nur viel Vergnügen sondern auch interessante Erkenntnisse.
Das letzte Wort hatte aber Sibylle Mockler, die das Finale mit dem sehr persönliche Einblicke gewährenden Sachbuch „Wofür stehst du?“ von Axel Hacke und Giovanni Di Lorenzo bestritt. Was es mit Sonja Rikers zwischen Buchdeckeln verpacktem „Suppenglück“ auf sich hat, konnten die Besucher dann beim sich anschließenden praktischen Teil kosten. Suppen, Häppchen und Getränke sorgten für einen gelungenen Ausklang vor appetitanregenden Kochbuchregalen.