An einem Montag im Juni ist alles anders. Vor dem Häslacher Rathaus steht ein Galgen, darauf ein trotzig dreinblickender junger Mann, der kurz davor ist, das Zeitliche zu segnen. „Hängt ihn auf, hängt ihn auf“, skandiert eine wütende Menschenmenge. Die Männer und Frauen tragen Mistgabeln, Sensen und Hacken. Das ist aber auch schon alles. Der Einzige, der noch etwas anderes trägt, ist der junge Mann, der sterben soll. Alle anderen sind so, wie Gott sie geschaffen hat: splitterfasernackt.
Wer nun glaubt, er sei im falschen Film gelandet, hat die halbe Wahrheit schon erraten. Das Freilichtmuseum Beuren war in dieser Woche Schauplatz für einen Kurzfilm, den sich Studenten der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg ausgedacht haben. Der Sechsminüter, der den Titel „The Studies on Hysteria“ trägt, spielt in einem abgeschiedenen Dorf, in dem alle Bewohner nackt herumlaufen. Eines Tages findet ein Dorfbewohner, der junge Postbote Adam, im Wald eine Jeanshose, die zwei Nymphen für ihn ausgelegt haben. Natürlich weiß Adam nicht, was eine Jeanshose ist, aber ihm gefällt es, wie sich das Kleidungsstück angenehm an seine Beine schmiegt. Die Dorfbewohner sind schockiert. Schnell wird klar, dass sie so etwas wie Kleidung in ihrer Gemeinschaft nicht dulden können. Adam stellt sich stur: Er will seine Jeanshose behalten. Das bezahlt er am Ende mit dem Leben.
Bis die Zuschauer sich darüber den Kopf zerbrechen können, ist es jedoch noch ein weiter Weg. Und der ist oft mit ganz profanen Problemen gepflastert. Ganze fünf Drehtage hat die Filmcrew für ihren Sechsminüter anberaumt, drei davon in Beuren. In dieser Zeit kann eine Menge schiefgehen. Das weiß keiner besser als Producer Felix Ruple. Sein Funkgerät knackt schon wieder. „Die Nymphen stehen im Stau“, schnarrt eine Frauenstimme. Ruple, der in Beuren aufgewachsen ist, nimmt‘s mit Humor. Auch die Tatsache, dass ein Bauarbeiter in dem Moment, in dem die Klappe fällt, sein Fahrzeug anwirft, bringt ihn nicht auf die Palme. So ist das eben beim Filmemachen.
Während die Regisseure Bernd Faaß, Gabriel Borgetto und Matthias Bäuerle gewissermaßen Väter der Geschichte sind, organisiert der 24 Jahre alte Felix Ruple die Filmproduktion. Allerdings ist er auch bei anderen Fragen mit eingebunden, entscheidet beispielsweise bei der Auswahl der Schauspieler und der Drehorte mit. Außerdem hat er beim Drehbuch, Schnitt und der Filmmusikersuche ein Wörtchen mitzureden. Wenn der Film fertig ist, wird er auf Kurzfilmfestivals gezeigt.
Einige Rollen sind mit professionellen Schauspielern besetzt, zum Beispiel die des jungen Postboten. Über Aufrufe im SWR und in den Lokalzeitungen hat Felix Ruple außerdem nach Komparsen gesucht, die bereit sind, für die Hinrichtungsszene die Hüllen fallen zu lassen. „Über 18 Jahre alt, nicht tätowiert und nicht gepierct“, lautete die Vorgabe. Die meisten, die sich gemeldet haben, sind männlich, viele sind schon ein wenig ergraut. Ein paar Frauen sind aber auch dabei. In den Drehpausen schlendern sie in Bademänteln und Adiletten durchs Museumsdorf oder essen ein paar belegte Brote. Eine Dame im grünen Nicki-Bademantel sitzt auf einem Stuhl und strickt.
Endlich geht es weiter. Als nächstes wird eine Nahaufnahme der wütenden Meute gefilmt. Die Schauspieler finden sich wieder vor dem Rathaus ein. Die Bademäntel dürfen sie erst einmal anbehalten, denn zunächst findet eine sogenannte Stellprobe statt. Regisseur Bernd Faaß gibt Anweisungen, wie die Schauspieler stehen sollen. Regieassistentin Maria Kempken setzt seine Vorgaben um. Ihrem geübten Blick entgeht nichts: Schnell nimmt sie einem Herren mit Pferdeschwanz seinen Haargummi ab. Wer Kleidung ablegt, kann keinen Haargummi tragen.
Unterdessen schaut der Assistent des Aufnahmeleiters immer wieder durch etwas, das aussieht wie ein kleines Monokel. Die Linse nennt sich Kontrastglas und hilft dabei, die Lichtverhältnisse am Set zu beurteilen. Die ändern sich an diesem Tag ständig, weil Schäfchenwolken über den Himmel ziehen. „Schäfchenwolken sind am schlimmsten“, sagt Felix Ruple. „Regen wäre für die Stimmung, die wir kreieren wollen, am besten.“
„Wir machen jetzt eine Kostümprobe“, ruft Set-Aufnahmeleiter Simon Riedel. Für die Schauspieler bedeutet das: Runter mit den Bademänteln. Maria Kempken versucht, die Komparsen in die richtige Stimmung zu bringen. „Wenn ich die Hacke hebe, schreit ihr“, ruft sie. „Spart nicht mit Ausdrücken. Und versucht, euch in so eine ‚Herr der Ringe‘-Stimmung zu bringen.“ Ob sich darunter alle etwas vorstellen können, sei mal dahingestellt. Aber als dann endlich die Klappe fällt, verwandelt sich die Menge blitzschnell in einen rasenden Mob. Wenn nicht alle nackt wären, könnte man richtig Angst bekommen.